Dies ist die erste Ausgabe unserer Interviewreihe ?Lernen aus der Krise ? Stimmen aus dem Mittelstand? mit Christopher Haas, der seine Erfahrungen aus der Corona-Krise mit uns teilt. Er berichtet von einer strategischen Kehrtwende, f?r die er r?ckblickend sehr dankbar ist. Das Familienunternehmen hat sich mit seinen etwa 25 Mitarbeitenden vor allem auf eine Kernkompetenz besonnen: innovative und individuelle Magnetl?sungen f?r Firmenkunden.
?Wir haben eine strategische Kehrtwende hingelegt,
die f?llig war und durch die Corona-Krise erst so richtig klar wurde.
Klar wurde aber auch, was wir alles k?nnen.?
RKW: Lieber Christopher, wie habt Ihr als Unternehmen die Corona-Krise bisher erlebt?
Christopher Haas: F?r uns fing sie im Vergleich zu vielen anderen Unternehmen schon deutlich fr?her an. Da wir unsere Rohmaterialien aus China bekommen ? dort liegt quasi ein Monopol auf Magnetfolien ? waren wir schon im November 2019 mit unspezifischen Lieferproblemen konfrontiert. Der Zusammenhang mit Corona wurde erst sp?ter deutlich. Dann wurden im M?rz 2020 nochmal richtig viele Container geliefert, so dass wir unter Hochdruck alle aufgestauten Auftr?ge abarbeiten konnten. Mit dem ersten Lockdown brach dann im April unser Umsatz von heute auf morgen um 75 Prozent ein. Kein Wunder, waren doch viele unserer Kundinnen und Kunden unmittelbar und massiv betroffen, die Messe- und Ladenbauer zum Beispiel.
Den Schreck mussten wir dann auch erstmal verdauen, haben uns aber relativ bald alle zusammengesetzt und versucht, die Lage zu beurteilen und diese Krise einzuordnen. Wir diskutierten offen die schwierigen Gesch?ftszahlen und recherchierten viel ? auch zu kurzfristigen Unterst?tzungsm?glichkeiten. Dazu vorab: Weil die zwei Vorjahre schon schwierig waren, haben wir nur die erste Soforthilfe vom Land Hessen in Anspruch nehmen k?nnen und waren dar?ber hinaus finanziell auf uns allein gestellt. Was also tun? Wir pr?ften ein paar schnell umsetzbare Optionen, wie Einsparm?glichkeiten und setzten sie wo m?glich auch gleich um. Manche lie?en wir fallen, beispielsweise die Idee, auf gefragte Produkte wie Masken oder Plexiglas-Scheiben umzustellen, weil bis dato weder die Materialien leicht verf?gbar waren noch unsere Maschinen wirklich dazu passten. Nachdem der Mai dann genauso katastrophal lief, haben wir erstmal alle zusammen beschlossen, die Kollegen in der Produktion zu 50 Prozent in Kurzarbeit zu schicken. So waren die Kosten erheblich reduziert, aber wir konnten noch auf die wenigen Auftr?ge reagieren ? verl?sslicher Service macht uns ja auch aus. Entscheidend war aber: Alle Mitarbeitenden im B?ro blieben voll an Bord, um die Zeit f?r genau die Kehrtwende zu nutzen, die wir offensichtlich brauchten, um diese Krise zu ?berstehen. Hier haben wir t?glich an grunds?tzlichen Fragen gearbeitet, wie:
- Ist unser Gesch?ftsmodell so noch zukunftsf?hig?
- Haben wir die richtige Kundschaft im Blick?
- Welche Kunden- und Produktsegmente lohnen sich wirklich?
- Stimmen unsere Prozesse noch?
- Was sind unsere St?rken und Schw?chen?


Dabei half uns auch eine schnell umgesetzte, systematische Befragung unserer wichtigsten Kundinnen, Kunden und Stakeholder. ?berhaupt haben wir in dieser Zeit viel und genau hingeh?rt und geschaut. Was ging, haben wir direkt umgesetzt, beispielsweise ein v?llig neu aufgestelltes Controlling, was uns zahlenseitig Antworten auf die strategischen Fragen lieferte oder eine eigens erstellte Landing Page f?r ein neues, spannendes Kundensegment. Das haben wir alles allein mit Bordmitteln geschafft ? sehr authentisch, pers?nlich und passgenau f?r das, was wir brauchten. So konnten wir schon im Januar 2021 in einem Kickoff-Workshop die neue strategische Ausrichtung mit allen Mitarbeitenden beschlie?en. Diese Geschwindigkeit hatte nat?rlich etwas mit unserer prek?ren Lage zu tun. Ich sch?tze, in ruhigeren Fahrwassern h?tten wir mindestens vier Jahre gebraucht, um all diese Ver?nderungen gemeinsam zu verstehen, entscheiden und schlie?lich umzusetzen.
In welche strategische Richtung seid Ihr denn im Ergebnis jetzt unterwegs?
Wir haben uns im Kern von weniger profitablen, traditionellen Kundensegmenten und Produktgruppen getrennt und uns zur?ck besonnen auf unsere St?rke: innovative, kundenindividuelle L?sungen, bei denen Probleme gel?st werden und man dann auch nicht mehr ?ber den Preis diskutiert.
Hier bieten wir nun mehr Service, als wir und wichtige Kundinnen und Kunden vorher dachten, d.h. vor allem die passgenaue Verarbeitung von Magnetfolien. Sie macht mittlerweile 50 Prozent unseres Umsatzes aus und ist auch f?r neue Kundensegmente spannend, zum Beispiel Lackierereien. F?r das Lackieren von Standardprodukten wie Gasflaschen sind Magnetschablonen n?mlich viel praktischer als die bisherigen L?sungen. Da haben wir eine lukrative Nische gefunden mit kleinen, aber feinen Auftr?gen, die f?r uns einfach profitabler sind als der blo?e Handel mit dem allseits bekannten Preiskampf. Aber auch hier trennt sich die Spreu vom Weizen ? wo mehr Qualit?t und Service gefragt ist, passen wir gut. Wir punkten zum Beispiel mit dem Thema Nachhaltigkeit, weil wir da schon l?nger dran sind und eine Qualit?tsnische besetzen und ausbauen k?nnen.
Ein weiteres Projekt ist ein Angebot im B2C-Bereich, das wir quasi komplett fertig in der Schublade haben, uns mit dem Launch aber noch zur?ckhalten bis die Zeiten etwas stabiler sind.
Die Krise ist leider noch nicht vorbei ? was ist aktuell Eure gr??te Herausforderung?
Klar, die Konjunktur l?uft nur langsam an, deshalb sind wir nach wie vor vorsichtig. Daneben waren die Lieferengp?sse 2021 nat?rlich verheerend und entsprechenden Preise und Prozesse sind auch heute noch schwierig. Hier haben wir insofern reagiert, als dass wir mitten in der Krise eine Mitarbeiterin eingestellt haben, die den sprachlich-kulturellen Background und entsprechende Kontakte mitbringt, um die Schnittstelle zu unseren Lieferanten noch besser zu managen. Das macht schon einen Unterschied. Und nat?rlich sind wir zwangsl?ufig viel professioneller im Umgang mit Lieferschwierigkeiten geworden. Sie sind heute kein Weltuntergang mehr, sondern normales Business ? das macht uns auch resilienter.
W?rdest Du r?ckblickend heute etwas anders entscheiden?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Au?er dass ich diesen strategischen Ver?nderungsprozess eigentlich gern schon vor Corona eingesteuert h?tte. Das ist auch ein zentrales Learning f?r uns und mich: Wir brauchen Zeit und R?ume f?r die Draufsicht, das grunds?tzliche Hinterfragen ? auch in stabileren Zeiten. Das ist gerade unser Spirit, den wir uns erhalten wollen, beispielsweise mit einem neu eingef?hrten, interdisziplin?ren Innovationsteam.
Aber auch das wirkliche Mitnehmen der Mitarbeitenden habe ich hier nochmal in einer ganz neuen Qualit?t erlebt. Dass wir so offen und ehrlich ?ber die prek?re Lage gesprochen haben, hat aus meiner Sicht die entscheidende Ver?nderungsbereitschaft und -energie freigesetzt, die wir brauchten f?r diese Kehrtwende. Das hat uns nochmal mehr zusammengeschwei?t ? ein sehr passender Start in einen gemeinsamen, permanenten Verbesserungsprozess mit feinen Antennen f?r die Bed?rfnisse unserer Kundinnen und Kunden.
Lieber Christopher, vielen Dank f?r diese spannenden Einblicke und viel Erfolg f?r Euch auf dem neuen strategischen Weg. Wir bleiben dran!
Zum Nachlesen:
Haas & Co Magnettechnik GmbH
Produktionsbeispiel
RKW Hessen
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