Gr?ndungsverhalten der Migrantinnen und Migranten in Deutschland 2019
Migrantinnen und Migranten sowie Personen mit Migrationshintergrund bilden eine ?konomisch wichtige und gr?ndungspolitisch interessante Bev?lkerungsgruppe mit viel Potenzial. Definiert sind Migrantinnen und Migranten in diesem Bericht ausschlie?lich als ?nicht in Deutschland geborene Personen?. R?ckschl?sse auf in Deutschland Geborene mit Migrationshintergrund k?nnen aus den folgenden Daten daher nicht gezogen werden.
Seitdem der Migrationsstatus in der deutschen GEM-Bev?lkerungsbefragung erfasst wird, haben Migrantinnen und Migranten in Deutschland fast jedes Jahr eine h?here Gr?ndungsneigung als die einheimische Bev?lkerung gezeigt. Die einzige Ausnahme bildet das Jahr 2018. Einschr?nkend muss erw?hnt werden, dass diese Unterschiede nur in einigen Jahren statistisch signifikant sind (vgl. Sternberg et al. 2019). Im Gegensatz zu 2018 ist die TEA-Quote der Migrantinnen und Migranten in Deutschland mit 11,8 % wieder deutlich h?her als die der einheimischen Bev?lkerung (TEA-Quote 7,4 %). Dieser Unterschied ist f?r das Jahr 2019 mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 % statistisch signifikant.
Die vier h?ufigsten Herkunftsl?nder der migrantischen Gr?ndungspersonen in Deutschland, die zum Befragungszeitpunkt dabei waren, ein Unternehmen zu gr?nden oder in den letzten dreieinhalb Jahren gegr?ndet hatten, sind die T?rkei (mit Abstand), Polen, Kasachstan und Italien. Die vergleichsweise hohe TEA-Quote dieser Bev?lkerungsgruppe ist nicht, wie zun?chst vermutet, auf die starke Einwanderung um das Jahr 2015 herum zur?ckzuf?hren. Zwar ist die T?rkei auch in den letzten Jahren eines der wichtigsten Herkunftsl?nder f?r Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland gr?nden, gewesen, im Jahr 2019 scheint dies jedoch besonders deutlich. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der T?rkei hat hier als sogenannter ?Push-Faktor? m?glicherweise einen wesentlichen Einfluss (vgl. Brauns, 2016).
Nach der GEM-Bev?lkerungsbefragung 2019 hat die einheimische Bev?lkerung in Deutschland im Schnitt ein geringf?gig h?heres formales Bildungsniveau als die migrantische Bev?lkerungsgruppe. Betrachtet man nur diejenigen Personen beider Gruppen, die zum Zeitpunkt der Befragung gerade gr?nden oder k?rzlich gegr?ndet haben, dann ergibt sich ein deutlicher Unterschied zuungunsten der migrantischen Bev?lkerungsgruppe. Diejenigen Migrantinnen und Migranten, die gr?nden, sind dabei auch etwas weniger gut gebildet als jene, die nicht gr?nden. Bei der einheimischen Bev?lkerung ist dieses Verh?ltnis umgekehrt: Gr?ndende sind im Schnitt h?her gebildet als Nicht-Gr?ndende. Offen bleibt, bei wie vielen Migrantinnen und Migranten das formale Bildungsniveau niedriger ist, weil ihre ausl?ndischen Qualifikationsnachweise nicht anerkannt wurden.
Abbildung 7 zeigt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Gr?ndungsmotive der beiden betrachteten Gruppen. Die abweichenden formalen Bildungsniveaus wirken sich scheinbar zum Teil auch auf diese Motive aus. Der Schluss, dass Migrantinnen und Migranten vermehrt aus Mangel an Erwerbsalternativen gr?nden, l?sst sich aber im Vergleich zur Motivlage bei der einheimischen Bev?lkerung h?chstens tendenziell best?tigen, da das in Abbildung 7 gezeigte Verh?ltnis f?r dieses Motiv als einziges der vier Motive statistisch nicht signifikant ist. Dies gilt jedoch nur f?r den Vergleich. Die Tatsache, dass mehr als jede zweite migrantische Gr?ndungsperson aus Mangel an Erwerbsalternativen gr?ndet, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation ein bemerkenswert schlechtes Ergebnis. Nur jede vierte Person dieser Gruppe gr?ndet, um einen gr??eren Wohlstand und ein h?heres Einkommen zu erreichen. Bei der einheimischen Bev?lkerung ist dieser Wert statistisch signifikant h?her (vgl. Abbildung 7).
F?r beide betrachteten Gruppen ist die Fortsetzung einer Familientradition ein sehr wichtiges Gr?ndungsmotiv. Auch international ist der Wert beider Gruppen weit ?berdurchschnittlich (vgl. Abbildung 9). Dies k?nnte als Zeichen daf?r gedeutet werden, dass die Vorbildfunktion und Vorteile beim Zugang zu gr?ndungsrelevantem Wissen bei der Wahl einer beruflichen Selbstst?ndigkeit in Deutschland immer noch eine gro?e und ?berproportionale Rolle spielen. Generell gibt es in Deutschland ?berproportional viele Familienunternehmen, die sich in dieser Statistik entsprechend wiederfinden.
Das Ziel, mit dem Unternehmen die Welt zu ver?ndern, verfolgen prozentual migrantische Gr?ndungspersonen deutlich h?ufiger als einheimische. Insgesamt ?u?ern diesen Wunsch zwei Drittel der Migrantinnen und Migranten, aber nur 42 % der in Deutschland geborenen Personen.
Sichtbare Unterschiede gibt es zwischen den beiden Gruppen jedoch nicht nur bez?glich der Gr?ndungsmotive. Migrantische Gr?ndungspersonen zeigen beispielsweise eine wesentlich st?rkere internationale Ausrichtung (bezogen auf den Umsatz) ihrer Unternehmungen. Auch die Wachstumsambitionen, hier definiert als der erwartete prozentuale und absolute Zuwachs an Angestellten, sind im Schnitt st?rker ausgepr?gt als bei der einheimischen Bev?lkerung (vgl. Abbildung 8).
Der Anteil der Hightech-Gr?ndungen ist bei Migrantinnen und Migranten nur etwas geringer, als die Unterschiede im Bildungshintergrund dies vermuten lassen. Deutlich wird der Unterschied jedoch in Bezug auf den Grad der Innovativit?t. Bei Produktund Prozess-Weltneuheiten liegen die Prozentanteile migrantischer Gr?ndungen deutlich unter denen der einheimischen Bev?lkerung (vgl. Abbildung 8). Der Gr?ndungen attestierte Innovationsdruck auf etablierte Unternehmen scheint prim?r von Gr?ndungen durch die einheimische Bev?lkerung auszugehen. Da Migrantinnen und Migranten mit einer h?heren internationalen Reichweite und entsprechenden Wachstumsambitionen die Vernetzung von Gr?ndungs?kosystemen f?rdern k?nnten, w?re hier viel Potenzial zu verlieren (vgl. von Bloh et al. 2019).
Ein Unternehmen aufgeben mussten in den letzten zw?lf Monaten vor der Befragung 4,8 % der migrantischen Gr?ndungspersonen, aber nur 1,7 % der einheimischen Personen. Dieser statistisch signifikante Unterschied kann diverse Ursachen haben. Generell haben es Migrantinnen und Migranten in dem neuen Umfeld schwerer als Einheimische. Dies liegt an den vom Heimatland abweichenden formellen und informellen Institutionen sowie am anderen Konsumverhalten. Auch der erschwerte Zugang zu Fremdkapital sowie die Sprachprobleme und der hohe B?rokratieaufwand f?r die Gr?ndenden spielen eine Rolle. Angesichts der aktuellen Fachkr?fteproblematik sollten hier besonders in den Ausbildungsberufen formale b?rokratische H?rden abgeschafft werden, wenn eine entsprechende fachliche Qualifikation bei den migrantischen Gr?ndungspersonen vorliegt.
Trotz dieser verschiedenen Ausgangsbedingungen zeigen sich bei der Frage, ob die Angst zu scheitern von einer Gr?ndung abhalten w?rde, keinerlei Unterschiede zwischen den beiden Personengruppen. Dabei kennen Migrantinnen und Migranten mehr Personen, die in den letzten zwei Jahren selbstst?ndig geworden sind bzw. ein Unternehmen gegr?ndet haben. Im Schnitt kennen sie mindestens eine solche Person, 44,4 % der Befragten dieser Gruppe sogar mindestens zwei oder mehr. Bei den Einheimischen kennt mehr als die H?lfte keine solche Person und 43,5 % eine oder mehr. Diese Unterschiede sind statistisch hoch signifikant.
Bei der Aussage, dass im n?heren Umfeld der Befragten in den n?chsten sechs Monaten gute M?glichkeiten f?r eine Gr?ndung zu finden sind, stimmen Migrantinnen und Migranten geringf?gig st?rker zu als einheimische Personen (3,1 und 3,0 auf einer Skala von 1 = starker Widerspruch bis 5 = starke Zustimmung). Trotz des geringen Unterschieds ist dieser statistisch signifikant.
Auch bei den migrantischen Unternehmen ?berwiegen die Gr?ndungen durch M?nner. Dennoch zeigt sich bei den Migrantinnen und Migranten beim Geschlechterverh?ltnis eine deutlich bessere Balance: Auf eine TEA-Gr?nderin kommen bei den Migranten 1,5 und bei den Einheimischen 1,9 m?nnliche Gr?ndende. Dieser Unterschied ist ebenfalls statistisch signifikant. M?nner, die nicht in Deutschland geboren sind, haben mit einer TEA-Quote von 13,8 % einen f?r Deutschland sehr hohen Wert. Jeder Siebte dieser Gruppe ist demnach entweder dabei, ein Unternehmen zu gr?nden oder hat in den letzten 42 Monaten gegr?ndet.