Qualitative Interviews und Expertenkreis

Qualitative Interviews und Expertenkreis

Diese Interviews waren der vierte Baustein der Studie, zur Methode und den Interviewten vgl. das Kapitel zu Expertenkreis und -interviews.

Zur Einsch?tzung des Umsetzungsstands in Unternehmen:

?bereinstimmend wird von den Expertinnen und Experten die momentane Situation in Kleinst- und Kleinunternehmen wie folgt eingesch?tzt: In Gro?unternehmen haben sich umfassende und systematische Regelungen und Konzepte durchgesetzt. In Kleinst- und Kleinunternehmen gibt es jedoch nur sehr wenig Interesse, sich mit dem Thema zu besch?ftigen. Wenn ?berhaupt, dann handelt es sich um Unternehmen, in denen es einen akuten Einzelfall gibt ? in der Regel einen erkrankten oder auff?lligen Besch?ftigten ?, der ohne externe Unterst?tzung nicht mehr gel?st werden kann.

Urteil eines Experten aus dem Handwerksbereich:

"Suchtpr?vention in den Betrieben steht in den Anfangsschuhen, Unternehmen m?ssen zuerst sensibilisiert werden, wie erkenne und reagiere ich auf das Problem? Hierzu gibt es keine Hilfestellungen. Eine 2011 ausgeschriebene Weiterbildungsveranstaltung zur Sucht f?r das Handwerk (Hessen) musste wegen mangelnder Nachfrage abgesagt werden"

Ein Unterschied zu Gro?unternehmen besteht zudem darin, dass in diesen meist schriftliche betriebliche Vereinbarungen bestehen. In kleinen Unternehmen sind die Ideen und Ma?nahmen nicht schriftlich fixiert, man findet sie oft nur im "Kopf des Unternehmers".

Der Experte einer Innungskrankenkasse zum Umsetzungsstand:

"Grunds?tzlich gibt es in den Gro?unternehmen ein standardisiertes Vorgehen, Interesse ist oft vorhanden. Bei den KKU ist die Umsetzung sehr schwierig, bei Unternehmen bis 50 Mitarbeitern gibt es nur in Einzelf?llen verankerte Ma?nahmen: Konzepte und Ideen werden nicht aufgeschrieben, sondern sind nur "im Kopf des Unternehmers". Wissen ist dabei h?ufig vorhanden, die Umsetzung erfolgt aber nicht."

Dass sich nur sehr vereinzelt Unternehmerinnen und Unternehmer in dem kleinbetrieblichen Bereich mit dem Thema Suchtpr?vention besch?ftigen, macht sich auch bei der Suche nach kleinbetrieblicher "Good practice" bemerkbar. Von den Experten konnten keine kleinen Unternehmen als Leuchtt?rme genannt werden.

Von den Experten wurden sowohl in den Expertenkreis-Sitzungen als auch in den Interviews hervorgehoben, dass das Thema Alkohol im Betrieb weiterhin an erster Stelle einer betrieblichen Problemrangliste zu Suchtfragen steht.

Uneins sind sich die Expertinnen und Experten bei der Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes: Ein Gro?teil gibt an, dass das Gesetz in den meisten Unternehmen umgesetzt wurde; vereinzelt wurde aber auch die Erfahrung gemacht, dass etliche Unternehmen den betrieblichen Nichtraucherschutz nicht angemessen umgesetzt haben.

Ein Arbeitsmediziner, der etliche Kleinstunternehmen betreut, charakterisiert die Situation wie folgt:

"In gro?en und mittleren Unternehmen gibt es Ans?tze zur Suchtpr?vention: In kleinen und gerade kleinsten Unternehmen ist nichts da, da mangelt es schon am Nichtraucherschutz: In 60 Prozent wird er konsequent umgesetzt, bei 20 Prozent gibt es eine Neigung zum Umsetzen, bei 20% muss man bei Null anfangen."

Eine wissenschaftliche Expertin sch?tzte ein:

"Rauchen ist eigentlich kein Thema mehr, allerdings wird in bestimmten Bereichen (Pflege) immer noch stark geraucht."

Medikamente, Spiel-/Internetsucht und illegale Drogen kommen zwar in Unternehmen vor, werden aber oft nicht erkannt und in den Unternehmen kaum behandelt. Illegale Drogen werden aus Expertensicht jedoch gerade von Auszubildenden in relevantem Ausma? konsumiert.

Ein Experte aus dem Aus- und Weiterbildungsbereich des Handwerks sch?tzt den Konsum von illegalen Drogen bei den Auszubildenden als problematisch ein:

"Berufsschulen sind noch nicht f?r das Thema sensibilisiert, es gibt wenig Interesse der Lehrer, das Problem aufzugreifen. Aber auch die Betriebe wollen von dem Thema wenig wissen. Nach meiner Erfahrung haben 85 Prozent der Azubis Drogenerfahrungen, etwa 15 Prozent konsumieren regelm??ig (Alk, Hasch Ecstasy, Verr?ucherungsmittel). Insgesamt ist die Bereitschaft der Jugendlichen, Drogen auszuprobieren, hoch."

Ein medizinischer Experte aus dem Bereich der Deutschen Rentenversicherung (DRV) betonte, dass bez?glich des missbr?uchlichen Medikamentenkonsums die empirische Datenbasis unzureichend sei. W?hrend zur Rehabilitation von Alkoholerkrankten detaillierte Daten bei der DRV verf?gbar seien, falle ein Medikamentenmissbrauch oft erst w?hrend einer medizinischen Reha-Ma?nahme, z.B. bei der Indikation psychische Erkrankung auf und werde somit nicht statistisch erfasst. Medikamentenmissbrauch, der bei Frauen h?ufiger als bei M?nnern auftrete, k?nne deshalb untersch?tzt sein.

Ansprechpartner f?r Betriebe

Stand der Information: Wie auch schon die Literaturrecherche zeigte, gibt es eine Vielzahl an Akteuren, die das Thema ?berbetrieblich in die Breite transportieren, aber auch den Unternehmen bzw. Multiplikatoren direkt zur Verf?gung stehen ? Krankenkassen, Suchthilfeeinrichtungen oder Berufsgenossenschaften sind nur ein kleiner Teil m?glicher Ansprechpartner.

Insbesondere Berufsgenossenschaften und Krankenkassen bieten Unternehmen, aber auch den Verb?nden und Kammern eine Palette von Ma?nahmen an: Informations- und Beratungshothotlines der Berufsgenossenschaften, schriftliche Informationen und Brosch?ren f?r F?hrungskr?fte und Multiplikatoren oder Veranstaltungen wie F?hrungskr?fteseminare. Allerdings werden von KKU diese Angebote nur wenig nachgefragt.

Der Experte einer suchtpr?ventiv sehr engagierten Krankenkasse merkte an:

"Wirkliche Prim?rpr?vention ist bei der Zielgruppe Kleinst- und Kleinunternehmen sehr schwierig, gerade wenn kein Leidens ? oder akuter Problemdruck vorhanden ist."

Als zentraler Ansprechpartner f?r Suchtpr?vention sollte ? laut Gesetz ? der Betriebsarzt fungieren. Etliche KKU haben aber keine regelm??ige arbeitsmedizinische Betreuung, zudem ist die Zahlungsbereitschaft der KKU f?r deren besondere Beratungsleistungen gering.

Unter den Experten besteht Konsens, dass das Informationsangebot f?r KKU gro?, aber vielfach f?r diese nicht transparent ist und sie regionale Ansprechpartner ben?tigen. Eine st?rkere Vernetzung der verschiedenen Akteure ist daf?r notwendig. Zudem m?sste die Angebote teilweise st?rker auf die Situation und Nutzungsgewohnheiten der KKU zugeschnitten werden.

Da einzelne KKU schlecht zu erreichen sind bzw. der Aufwand daf?r sehr gro? ist, sollten ?berbetriebliche Ans?tze ausgebaut werden: ?berbetriebliche Ans?tze haben sich im Bereich der Aus-/ Weiterbildung (z.B. AzubiFit, Kapitel 4.1.1.2) bew?hrt. ?berbetriebliche Schulungen von Sicherheitsbeauftragten oder von Kleinstunternehmer werden im Bereich der Berufsgenossenschaften durchgef?hrt; als sinnvoll werden Aktionstage zu Pr?ventionsthemen von Innungen oder Kammern angesehen.