Diskussion der Ergebnisse

Diskussion der Ergebnisse

Die im vorigen Kapitel vorgestellten Ergebnisse vermitteln einen empirisch belegten Eindruck ?ber die Situation und Potenziale betrieblicher Suchtpr?vention. Dabei hat sich ?ber alle vier Erhebungswege ? Literaturrecherche, Unternehmens- und Mitarbeiterbefragung sowie Experteninterviews ? hinweg ein facettenreiches Bild mit verschiedenen Ansatzpunkten f?r die Weiterentwicklung der betrieblichen Suchtpr?vention in KKU abgezeichnet. Im Folgenden werden die erhobenen Daten und Erkenntnisse zusammenfassend diskutiert.

Zum Stand der betrieblichen Suchtpr?vention

Im Rahmen der Literaturrecherche hat sich gezeigt, dass in der Forschung unter Sucht ? wie in der Vergangenheit ? nicht mehr nur der Missbrauch von illegalen Suchtstoffen und Alkohol gefasst wird, sondern verst?rkt auch Tabak, Medikamente sowie nicht stoffgebundene Abh?ngigkeiten thematisiert werden.

In der betrieblichen Praxis ? das wird auch durch die Befragungen und Experten dieser Studie best?tigt ? ist aber eine vorhandene Schwerpunktsetzung auf Fragen des Alkoholmissbrauchs verbreitet. Damit werden die bestehenden Chancen, Prim?rpr?vention bei allen Arten von Suchtverhalten verst?rkt umzusetzen, nicht ausreichend genutzt. ?berraschend ist der hohe Anteil an Betriebsvereinbarungen mit betrieblichen Alkoholverboten in unseren Unternehmensbefragungen.

?bereinstimmung gibt es auch bei der Einsch?tzung, dass eine strategische Einbindung der Suchtpr?vention in betriebliche Prozesse oft unterbleibt; es wurde auch festgestellt, dass spezifische Programme oder betriebliche Ma?nahmen zur geschlechtersensiblen Suchtpr?vention in Deutschland ebenso wie in Europa nicht existieren.

Die gesichteten Studien sehen niedrigschwellige oder fr?hzeitige Interventionen zum Missbrauch von Alkohol noch viel zu selten in Betrieben umgesetzt. In den Experteninterviews, die diese Einsch?tzung grunds?tzlich unterst?tzten, wurden zahlreiche Gr?nde f?r die betriebliche Zur?ckhaltung benannt, die in KKU besonders ausgepr?gt ist. Auch die Befragungen der Unternehmen und Besch?ftigten belegten deutlich, dass das Interesse an prim?rpr?ventiven Ma?nahmen gering ist und das Thema Sucht betrieblich als wenig bedeutsam eingesch?tzt wird. Allerdings hatte Suchtpr?vention bei Besch?ftigten einen durchschnittlich etwas h?heren Stellenwert als bei den Unternehmen.

Bezogen auf Medikamentenmissbrauch wird in der Literatur ein erh?hter Pr?ventionsbedarf konstatiert. In der Unternehmensbefragung wurde deutlich, dass die Unternehmen in diesem Konsumsegment in der Vergangenheit keine betrieblichen Auff?lligkeiten beobachtet haben. Die "Unsichtbarkeit" des Medikamentenkonsums wurde von den Experten best?tigt. Selbst f?r ?rzte sei dieser erst in sp?ten Missbrauchsstadien erkennbar, w?hrend Drogenmissbrauch, der vorrangig bei j?ngeren Besch?ftigten vorkomme, schneller sichtbar w?rde.

Der Anteil der Betriebe mit Auff?lligkeiten im Zusammenhang mit Suchtmitteln erweist sich im Metallbereich als h?her als im Handel. Dieser Unterschied zwischen den beiden Branchen zeigte sich auch in den eigenen Erhebungen aus dem Jahr 2007: Dort gaben 15 Prozent der Metallbetriebe Probleme mit Suchtmitteln an, aber lediglich sieben Prozent aus dem Handel (H?bner et al. 2010).

Die Nikotinpr?vention scheint nach der Einsch?tzung verschiedener Autoren in der Literaturanalyse betrieblich wenig breit und kreativ aufgestellt. Dies best?tigt auch diese Studie: Vereinbarungen zum Nichtraucherschutz finden sich in der Unternehmerbefragung im Vergleich zu Alkoholverboten selten. M?glicherweise wird der betriebliche Regelungsbedarf durch die gesetzlich vorgegebenen Regelungen in der Arbeitsst?ttenverordnung als gering erachtet Auch weitere Regelungen zu anderen Suchtmitteln sind eher Ausnahmen.

Zusammenfassend l?sst sich bilanzieren: Zum aktuellen Stand der betrieblichen Suchtpr?vention in KKU best?tigen die vier Analysemethoden dieser Studie das Bild von hohen Umsetzungsdefiziten in der kleinbetrieblichen Suchtpr?vention.

Weiterentwicklung der Suchtpr?vention in KKU ? hemmende und f?rdernde Faktoren

Ein zentrales Anliegen der Expertise war die Beantwortung der Fragestellung, durch welche Faktoren die betriebliche Suchtpr?vention gehemmt wird und wie sie gef?rdert und weiterentwickelt werden kann. Hierzu konnte mithilfe der vier Analyseans?tze eine F?lle an Vorschl?gen und Empfehlungen zusammengetragen werden, die in das Kapitel "Thesen f?r ein Pr?ventionskonzept" eingeflossen sind und hier deshalb nur kurz diskutiert werden.

Verschiedene Autoren (siehe Literaturanalyse) fordern, weitere angepasste Konzepte zu entwickeln sowie Interventionshilfen in Form von Vernetzungen und externen Unterst?tzungsangeboten zu schaffen. Insbesondere bei sehr kleinen Betrieben zeige sich, dass Betriebe zwar ?ber die Problematik Alkohol am Arbeitsplatz Bescheid w?ssten, es ihnen aber bei der konkreten Umsetzung von Ma?nahmen an Erfahrungen fehle. Diese Einsch?tzung wurde von den Experten weitgehend geteilt, die auch die folgenden Aussagen, die aus der Fachliteratur und der Unternehmensbefragungen gewonnen wurden, best?tigten:

  • Die Schwierigkeiten, denen sich kleine Betriebe ausgesetzt sehen, gleichen sich oft: Zeit und Geld sind knapp, die Unternehmer, F?hrungskr?fte aber auch die Mitarbeiter in der Regel ausgelastet und eine Vernetzung bez?glich sozialer oder gesundheitlicher Themen meist nicht gegeben.
  • Eigenst?ndige Nachfragen zu Gesundheitsthemen von kleinen und mittleren Unternehmen sind nur sehr selten vorzufinden. In den Betrieben wird nur selten pr?ventiv gehandelt, sondern eher anlassbezogen auf Gesundheitsprobleme reagiert.
  • Deutliche Unterschiede zwischen den beiden hier untersuchten Branchen finden sich in der Umsetzung der sicherheitstechnischen bzw. arbeitsmedizinischen Betreuung. Lediglich ein Drittel der Metallbetriebe hat das Unternehmermodell gew?hlt, das von nahezu 60 Prozent der Handelsunternehmen bevorzugt wird. Die Betriebe suchen bei Fragen der Suchtpr?vention an erster Stelle Unterst?tzung bei ?rzten, Betriebs?rzte bzw. betriebs?rztliche Dienstleister, gefolgt von der Berufsgenossenschaft und Krankenkassen.

In diesem Zusammenhang bem?ngelten einige Experten das Aufsichtshandeln von Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsicht, die nur sehr selten diese kleinen Betriebe besuchen. Es wurde betont, dass in einer guten Umsetzung des betrieblichen Arbeitsschutzes, z. B. durch die Gef?hrdungsbeurteilung, viele tragf?hige Ansatzpunkte f?r die Suchtpr?vention bestehen. Das Regelwerk des Arbeitsund Gesundheitsschutzes w?rde von den Unternehmen meist auch als bedeutsam wahrgenommen; allerdings ist einschr?nkend zu bemerken, dass in der Unternehmerbefragung die "Verbesserung der Arbeitssicherheit" in beiden Branchen als ? wenn auch nachrangiges ? Ziel angegeben wird. Als problematisch sehen die Experten die Tatsache an, dass wegen geringer finanzieller Ressourcen ?fters auf qualitativ ungen?gende arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung zur?ckgegriffen werde und es an F?higkeiten und Qualifikationen in dem Bereich seitens der Unternehmen mangele.

Die Literatur und die Experten sehen als f?rdernde Faktoren f?r kleinbetriebliche Suchtpr?vention deren Einbettung in ein betriebliches Gesundheitsmanagement bzw. in die Betriebliche Gesundheitsf?rderung. Bez?glich des Angebots von Ma?nahmen der betrieblichen Gesundheitsf?rderung (BGF) unterscheiden sich die Unternehmen der beiden Branchen nur unwesentlich. Jeweils ein (knappes) Drittel der Betriebe hat damit Erfahrungen gesammelt. Die geringste Verbreitung findet sich im Segment der kleinsten Betriebe im Handel. Unter den Handlungsfeldern der Gesundheitsf?rderung steht in beiden Branchen an erster Stelle das Thema Arbeitsplatzgestaltung. Ma?nahmen der Verhaltenspr?vention werden in beiden Branchen jeweils in vier von zehn Unternehmen angeboten. Betriebe mit suchtpr?ventiven Ma?nahmen haben, dies best?tigt die Expertenmeinung, in der Regel auch Gesundheitsf?rderung umgesetzt. Der Umsetzungsstand von Arbeits- und Gesundheitsschutz ebenso wie von BGF entspricht den Befunden eigener fr?herer Erhebungen (H?bner et al. 2010, Gr?ben 2008).

  • Als gesundheitsf?rdernde Aspekte in Klein- und Kleinstunternehmen werden in der Literatur die famili?re Struktur und enge Beziehung zwischen Unternehmer und Mitarbeiter angesehen. Die Experten betonten, dass diese N?he oft auch dazu f?hre, dass der Unternehmer eine hohe Verantwortung gegen?ber den Besch?ftigten empfinde und diesen deshalb bei Problemen pers?nliche Unterst?tzung anbiete. Auch aus Sicht der befragten Unternehmen stehen als Gr?nde f?r das Einf?hren von Suchtpr?vention in beiden Branchen f?rsorgliche Aspekte im Vordergrund, wie das Bem?hen "R?ckf?lle zu vermeiden" oder die "Wahrnehmung sozialer Verantwortung".
  • In der Literatur findet sich auch die von den Experten unterst?tzte Empfehlung: Betriebliche Gesundheitsf?rderung und Suchtpr?vention sollte in kleinen Unternehmen modular organisiert werden und als Projekt aufgesetzt werden. Dazu bedarf es Netzwerke mit konkreten Unterst?tzungsangeboten. Hilfreich k?nnen Projektdarstellungen (Good Practice) oder auch Adressen von externen Unterst?tzungseinrichtungen sein. Gerade im kleinst- und kleinbetrieblichen Bereich k?nnen intermedi?re Organisationen wie Verb?nde, Kammern oder Innungen als Akteure mit einem hohen Unterst?tzungspotenzial f?r die betriebliche Suchtpr?vention fungieren. Sie k?nnten bspw. Leitlinien f?r ihre Mitglieder erarbeiten und h?tten die M?glichkeit, Kooperationen mit regionalen Dienstleistern zu empfehlen.
  • Dar?ber hinaus wird angemerkt: Suchtpr?vention und Gesundheitsf?rderung m?sse vom Unternehmer selbst als Ressource erkannt werden, einen konkreten Nutzen f?r den Betrieb ausweisen (d.h. praxisnah und einfach umsetzbar sein) und die regionalen Strukturen der bestehenden Netzwerke der KMU einbeziehen. Nach Ansicht vieler Autoren und auch der Experten sollten ganzheitliche Angebote der BGF entwickelt werden, die die wirtschaftlichen Interessen und Motive der Betriebe ber?cksichtigen. Von den Unternehmen wurde in dieser Studie das Vermeiden von "Schlecht-/Minderleistungen" in der Metallbranche oder die "Qualit?tssicherung" im Handel als wichtig erachtet. Die Experten betonten, dass die Angebote auf die Struktur und Arbeitssituation der Betriebe zugeschnitten werden m?ssen.

Es solle dabei nach innovativen L?sungen gesucht werden, um die Aufmerksamkeit zu erzeugen und das Interesse zu wecken. Das kann auch ?ber "trojanische Pferde" geschehen, wie z.B. Hygieneschulungen oder Seminare zur Lohnbuchhaltung.

  • Nicht so eindeutig wie bei den bereits genannten Vorschl?gen waren die gewonnenen Einsch?tzungen aus der Literaturanalyse und der Experteninterviews zu den Methoden, wie Informationen zielgruppengerecht verbreitet werden sollten. Genannt wurden folgende Vorschl?ge: Pr?ventionsthemen sollten ?ber Branchenzeitschriften, Mitteilungsbl?tter der Berufsgenossenschaften, Fachzeitschriften oder Fachorgane von Handwerksverb?nden gestreut werden. Auch Praxisbeispielen aus anderen Betrieben sowie einem Austausch mit anderen Betrieben wird ein hoher Nutzen zugesprochen. Die ausgewerteten Studien sch?tzten den Stellenwert betrieblicher Beratung aber divergent ein.

Die Unternehmensbefragung ergab folgendes Bild: Unter den Medien, die gew?nscht werden, nehmen Brosch?ren branchen?bergreifend die erste Stelle ein (23 Prozent bzw. 21 Prozent). Online-Informationen w?rden 8 Prozent bzw. 5 Prozent der Unternehmen nutzen. Direkte Beratung und Inhouse-Schulungen sind kein Thema. In der Studie von Wienemann (2005) werden von 40 Prozent der Befragten Brosch?ren aber auch Internetquellen als bevorzugte Informationskan?le genannt.

Fr?here Studien der Autoren in kleinbetrieblichen Branchen haben gezeigt, dass sich f?r die Vermittlung von Inhalten der Gesundheitsf?rderung und des Arbeitsschutzes besonders Printmedien wie Brosch?ren und Flyer anbieten, auch Messen und Aktionstage k?nnen zur Verbreitung beitragen. Das Internet wird von Kleinunternehmern vieler Branchen (noch) eher selten zur Informationssuche beim Thema "Gesundheit im Betrieb" genutzt. Zudem ist eine leicht erreichbare Anlaufstelle bei Problemen oder R?ckfragen w?nschenswert (wie Telefon-Hotline, pers?nliche Berater). Allerdings zeigen die aktuellen Erfahrungen der Autoren, dass sich die Nutzungspr?ferenzen von Zielgruppen bez?glich einzelner Medien stark und schnell ver?ndern k?nnen. Eine engmaschige, stetige Beobachtung des Nutzungsverhaltens der verschiedenen Zielgruppen und eine entsprechende Anpassung der Informations- und Beratungsangebote sind deshalb notwendig.

Im Expertenkreis wurde in diesem Zusammenhang diskutiert, inwieweit ?ffentlichkeitswirksame Kampagnen das Interesse von Unternehmen und Besch?ftigten an Themen der Suchtpr?vention f?rdern k?nnen. Es bestand Konsens, dass ein unterst?tzendes gesellschaftliches Klima auch die betriebliche Wahrnehmung der Suchtpr?vention beeinflussen k?nne.

  • Entwicklungsbed?rftig sind nach Sichtung vorliegender Literatur und nach Einsch?tzung der Experten die vorliegenden Praxishilfen verschiedener Institutionen. Die Experten merkten an, dass Kleinstund Kleinunternehmen ihre Realit?t in zahlreichen, derzeit vorliegenden Leitf?den, Handlungshilfen und Brosch?ren meist nicht wiederf?nden. Die Ver?ffentlichungen hielten zwar reichhaltige Informationen zum missbr?uchlichen Umgang mit Suchtmitteln und zu den Wirkungen verschiedener Substanzen auf die Gesundheit vor und seien f?r betriebliche Akteure sicherlich hilfreich, sie b?ten aber f?r F?hrungskr?fte in KKU nur wenig praxisorientierte und alltagstaugliche Handlungsanleitung, da sich deren betriebliche Rahmenbedingungen und Leitungsstrukturen deutlich von denen in gr??eren Unternehmen unterschieden.
  • Im Rahmen der Literaturanalyse wurden zwei interessante Modelle bzw. Projekte in Deutschland bzw. ?sterreich vorgefunden. Dort wurden Informations- und Beratungsstellen f?r Klein- und Mittelbetriebe geschaffen, die als Schnittstelle zwischen betrieblicher und institutioneller Ebene sowie als Schnittstelle zwischen (therapeutischen) Einrichtungen und den Unternehmen agieren. Im Expertenkreis wurde der Aus- und Aufbau solcher Netzwerkstrukturen als w?nschenswert angesehen, Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass es in der Vergangenheit eine Vielzahl von gef?rderten Projekten zum Aufbau von Pr?ventionsnetzwerken gegeben habe, die nach der F?rderphase nicht "?berlebt" h?tten. Es sei schwierig, diese Beratungsstellen ohne ?ffentliche F?rderung dauerhaft zu finanzieren.
  • Die Experten betonten, dass noch viel ?ffentliche ?berzeugungsarbeit geleistet werden m?sse, um Suchtpr?vention aus der "Tabuzone" zu holen.

Die zusammenfassende Darstellung der hemmenden und f?rdernden Faktoren zeigt, dass es eine F?lle von Ansatzpunkten f?r die Weiterentwicklung der Suchtpr?vention in KKU gibt. Zentrale Thesen und Empfehlungen hierzu werden in den n?chsten Kapiteln er?rtert.