Spannungsfelder statt Rezepte

Organisationen in unsicheren Zeiten

Verfahrensregeln, Ablaufpl?ne und Checklisten in Unternehmen k?nnen das Geschehen f?r alle Beteiligten wunderbar vereinfachen. Ganz ?hnlich wie das Apfelkuchenrezept der Gro?mutter ben?tigen solche Anleitungen stabile Elemente, Verh?ltnisse und Ergebniserwartungen ? der Apfel bleibt der Apfel, das Verh?ltnis von Mehl und Zucker ver?ndert sich nicht und am Ende bekommt man immer wieder den leckeren Kuchen, den man schon aus Kindertagen kennt. Was f?r eine verlockend sichere Perspektive in Zeiten wie heute. Wir glauben, dass ein Denken in Spannungsfeldern, das die Wahrnehmung von Widerspr?chen und Vieldeutigkeiten bef?rdert, ein elementar wichtiger Zugang zu einer Welt voller ?berraschungen sein kann, der Unsicherheit als Ressource begreift.

Folgen wir dem allgemein geteilten Befund, dass die Welt uns weniger Verl?sslichkeit anliefert, wird es zunehmend schwieriger, Pl?ne (oder um im Bild zu bleiben: Rezepte) durch viele kleine Anpassungen zu stabilisieren und daraus eine langfristige Orientierung zu gewinnen. Schlimmer noch: Je mehr Aufmerksamkeit auf die Optimierung von Pl?nen und extrapolierenden Prognosen entf?llt, umso weniger Aufmerksamkeit bleibt, um sich mit der ?berraschung an sich zu befassen. Dabei ist das Denken in Paradoxien (altgriechisch f?r ?wider Erwarten, wider die gew?hnliche Meinung, unerwartet, unglaublich?) eine seit der Antike einge?bte Denkfigur, die ein wenig aus den Augen verloren wurde, so unsere Einsch?tzung.

Zu der Figur der Paradoxie geh?rt nach unserer Auffassung immer, dass wir die Welt in zwei sich ausschlie?ende Pole strukturieren, die frei nach dem Motto ?Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde? ohne einander keinen Sinn ergeben. Wer den Himmel fokussiert, verliert nat?rlich die Erde (zeitweilig) aus dem Blick, was nicht weiter problematisch sein m?sste. Wir erleben in Organisationen allerdings h?ufig aussichtslose und mitunter destruktive Experimente, sich einem der beiden Pole entledigen zu wollen. Wer sich organisationsintern beispielsweise der Erneuerung verpflichtet f?hlt, mag den Gedanken attraktiv finden, das ?Bremserh?uschen? loswerden zu wollen, ohne zu reflektieren, dass dann auch die Erneuerung an Substanz verliert.

Da lebendige Systeme, zu denen wir auch Organisationen z?hlen, immer darauf angewiesen sind, sich selbst in der Zeit zu stabilisieren, beziehen sie sich wie der ?Barbier von Sevilla, der diejenigen rasiert, die sich nicht selbst rasieren? immer auf sich selbst. Damit haben wir stets die Wahl, die Brille der Paradoxie aufzusetzen und die resultierende Vieldeutig- und Widerspr?chlichkeit anzunehmen.

Die resultierende Unsicherheit scheint nicht leicht zu fallen, auch wenn die Paradoxie-Perspektive neben vielleicht unmittelbar sp?rbaren Nachteilen viele Vorteile verspricht:

  • Sie erm?glicht es, Widerspr?che abzubilden und steuerungswirksam werden zu lassen. Die Welt und der subjektiv wahrgenommene Handlungsspielraum erweitern sich.
  • Der Reflex, den Gegensatz auszublenden oder gar abzuwerten, darf nachlassen.
  • Von aussichtslosen Versuchen, den Widerspruch durch Informationssammlung aufzul?sen, kann leichter abgelassen werden.
  • Gef?hlt unendlich andauernden Versuchen, Andersdenkende zu ?berzeugen, kann der Wind aus den Segeln genommen werden.
  • Es entsteht m?glicherweise sogar eine Einladung, sich in Andersdenkende einzuf?hlen.
  • Wer die Paradoxie erkennt, hat die Wahl, wie die Paradoxie bearbeitet und entfaltet wird.