Strategieentwicklung in der Krise

Wir schreiben diesen Artikel in den letzten Apriltagen 2020, einer Zeit, in der wir seit einiger Zeit nun schon Physical Distancing praktizieren, die Bundesregierung umfangreiche Hilfsleistungen f?r die Wirtschaft scheinbar ?ber Nacht in die Wege geleitet hat und erste Lockerungs?bungen unternommen werden, nicht ohne gleichzeitig in Frage gestellt zu werden. Niemand hat belastbare Einsch?tzungen, wie lange diese ?Krise? andauert, viele Wirtschaftsakteure sehen sich akut und wirtschaftlich existenziell gef?hrdet.

?ber Wasser bleiben - Navigieren in der akuten Krise

In dieser Zeit, in der das Pendel so massiv von der einen in die andere Richtung ausschl?gt, kommt es bei den meisten Unternehmen zun?chst einmal auf solides und konsequentes Liquidit?tsmanagement, eine gute Stakeholder- und Kommunikation mit Besch?ftigten sowie auf psychisch robuste F?hrungskr?fte an, die in der Lage sind, (sich) zu orientieren, ohne Gewissheiten zu haben oder auch nur ausgetretene Wege gehen zu k?nnen.

Das hilft sicher dabei, Zeit zu gewinnen, nicht aber dabei, sich auf eine erheblich ver?nderte Marktsituation einzustellen oder diese unberechenbare Phase klug f?r sich zu nutzen. Die Frage, wie ein Unternehmen m?gliche Chancen nutzen kann, h?ngt nat?rlich schlicht vom M?glichkeitsraum ab, mit ver?nderten Angeboten und Gesch?ftsmodellen noch potenzielle Abnehmerinnen oder Abnehmer zu finden. Dies f?llt der IT-Branche sicher leichter als dem benachbarten Friseurbetrieb, um nur ein sehr allgemeines und plakatives Beispiel zu nennen.

Einen belastbaren Kurs einschlagen - Navigieren ?ber die Krise hinaus

Noch wissen wir nicht, wie nachhaltig sich die aktuelle, durch einen Virus ausgel?ste Krise auf die konjunkturelle Lage, die Gestalt der Wertsch?pfungsketten oder des Wirtschaftens allgemein auswirkt. Der Faktor, der dar?ber entscheidet, scheint vornehmlich darin zu bestehen wie lange und h?ufig der ?Shutdown? das wirtschaftliche Leben einschr?nken wird. Leider fehlt bis heute die passende Glaskugel.

Trotz dieser Unsicherheiten ist jedoch offensichtlich, dass einige Umw?lzungen und Herausforderungen schon vor der Krise ein ?weiter so? in Frage gestellt haben, sei es die digitale Transformation, die Mobilit?tswende oder der Klimawandel. Und blicken wir zur?ck auf die letzte gr??ere Krise: Niemand h?tte mitten in der Krise 2009/2010 damit gerechnet, wie schnell die Wirtschaft wieder ?auf die Beine kommt?. Strategieentwicklung in der Krise bedeutet also, sich neben und nach dem akuten Krisenmanagement bereits f?r die Zeit danach zu r?sten. Nicht zuletzt dadurch entscheidet sich, wie gut ein Unternehmen nach der Krise wieder ?aus den Startbl?cken kommt?. Daf?r hei?t es am eigenen Gesch?ftsmodell zu feilen, in den guten Jahren zugelegte Gewohnheiten und gewonnen Gewissheiten in Frage und das Unternehmen neu aufzustellen.

Was wir ?ber Strategieentwicklung in der Krise lernen k?nnen

Das, was derzeit in den innovativen Leuchtt?rmen geschieht, erinnert uns in weiten Teilen an das, was wir ? weniger deutlich ? auch schon vor der Corona-Pandemie beobachtet haben: Strategieentwicklung ver?ndert ihre Form, sie wird beteiligungsorientierter, vorl?ufiger, kurzzyklischer und bewusst unsicherer. Vieles, was unter den Begriffen VUCA und New-Work seit einiger Zeit diskutiert wird, geschieht jetzt und hier. Und das ist angesichts einer Krise, die zahlreiche Gewissheiten f?r eine unbestimmte Zeit in Frage stellt, auch vollkommen schl?ssig. In diesem Sinne wirkt die Pandemie durchaus als Katalysator f?r eine ver?nderte Art des Wirtschaftens und Strategierens:

In Optionen denken, statt Gewissheiten zu predigen
Die Zukunft kannte auch vor Corona niemand, allerdings waren Prozesse und M?rkte mitunter noch so stabil, dass eine ausgearbeitete und kleinteilige Unternehmensstrategie ihr St?rken ausspielen konnte. Ganz neue Wege zu beschreiten erschien selten attraktiv, evolution?re Anpassung des Bestehenden als vern?nftige Perspektive. In zunehmend disruptiven Umfeldern ist es oft sinnvoll, mehrere m?gliche mitunter auch ambitioniertere Wege auszuarbeiten und zwischen diesen je nach beobachteter Wirkung zu wechseln, einige zu verwerfen, andere zu sch?rfen und so weiter.

Konsequent in Preisen und Nutzenpotenzialen denken anstatt in gut/schlecht-Unterscheidungen
Dort, wo Eindeutigkeit im Au?en verloren geht, f?hlen sich Entscheidungssituationen schnell schwierig an. Dieser Umstand l?sst sich leicht damit erkl?ren, dass ausnahmslos alle Ver?nderungen einen Preis einfordern, an den man sich in eingespielten Prozessen nur schnell gew?hnt und ihn aus dem Blick verliert. Ein Beispiel: Schicke ich alle Besch?ftigten ins Homeoffice, zahle weiterhin die vollen Personalkosten und wette darauf, auch w?hrend der akuten Pandemiephase trotz eingeschr?nkter Prozesse und einer unklaren Nachfragesituation weiterhin Umsatz zu generieren? Oder schicke ich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit und hoffe, die Krise quasi im Winterschlaf zu ?berstehen, w?hrend Liquidit?t langsam verloren geht?

F?r Command and Control fehlt manchmal die Zeit
Wer schnell sein will, verliert Genauigkeit und Qualit?t. So wie die ersten Pandemieprognosen sehr ungenau waren, bleibt im wirtschaftlichen Kontext oft und zunehmend weniger Zeit, um alle Pl?ne gewissenhaft und genau auszuarbeiten, um diese Pl?ne dann via command and control zentral durchzusteuern. Stattdessen beobachten wir auch auf der politischen B?hne ein robustes und vernetztes Geschehen, in dem sich viele dezentrale Prozesse stabilisieren, sich anschlie?end destabilisieren, nur um sich anschlie?end in einer anderen (und hoffentlich angemesseneren) Qualit?t wieder zu stabilisieren. Dieses Muster finden wir sehr ausgepr?gt auch schon seit einiger Zeit in wenigen besonders innovationsstarken kleinen und mittleren Unternehmen.

Ausprobieren und reflektieren
Unter der Annahme, dass es oft genug so schnell gehen muss, dass f?r ein Durchdenken und Sch?rfen bis ins letzte Detail keine Zeit ist, bleibt ein anderer Modus. Man probiert etwas aus, schaut sich die Wirkungen an und steuert kurzfristig nach. Dies scheint genau der Modus zu sein, den Corona-Taskforces in ihren t?glichen Meetings an den Tag legen und dabei intuitiv dem entsprechen, was unter dem Stichwort Agilit?t seit einiger Zeit ausgiebig diskutiert wird.

In Gesch?ftsmodellen und vom Kundennutzen aus denken
Je l?nger der Shutdown andauert, umso mehr ver?ndern sich Konsumgewohnheiten (potenzieller) Kundinnen und Kunden. Wom?glich ?berzeugt sich in diesem Zuge beispielsweise auch der ?traditionelle Innenstadteink?ufer? von den Vorteilen des Online-Shoppings. Wir d?rfen auch gespannt bleiben, wie sich Mobilit?t in einer Gesellschaft ver?ndert, die eine l?ngere Phase abstinent war, um nur wenige Beispiele zu nennen. In den fetten Jahren ist die Einladung, die Kundenbed?rfnisse in das Zentrum gesch?ftlicher ?berlegungen zu r?cken, meist eine Selbstverst?ndlichkeit, die kaum verf?ngt. Auch dies scheint heute etwas anders auszusehen.

Wir kennen die Zukunft nicht, d?rfen aber damit rechnen, dass mit jedem weiteren Tag des Shutdowns auch weitere Unternehmen, Wertsch?pfungsketten und Wirtschaftszweige unter gro?en Druck geraten, notgedrungen ihre Form ver?ndern oder (zumindest zeitweise) verschwinden. Damit einher gehen existenzielle N?te, Sorgen und nicht unerhebliches Leid bei zahlreichen daran beteiligten Menschen. Die Bundesregierung unternimmt angesichts dessen erhebliche Anstrengungen. Gleichzeitig kann jede Krise auch als Selbsterneuerungsauftrag verstanden werden. Nehmen wir die Schwere der aktuellen Krise als Gradmesser, d?rfen wir gespannt bleiben, wie sich das Gesicht der Wirtschaft und des Wirtschaftens in den kommenden Wochen und Monaten ver?ndert.