Krisenmanagement w?hrend der Corona-Pandemie

RKW: Lieber Herr Grabow, Sie sind als erfahrener Turnaround-Berater dieser Tage sicher sehr gefragt. Sp?ren Sie einen Unterschied in der Nachfrage nach Ihren Leistungen und wie sieht diese ver?nderte Nachfrage aus?

Hans-Joachim Grabow: Nat?rlich sind wir aktuell st?rker gefragt als ?blich, beispielsweise ablesbar an den zunehmenden Anfragen potenzieller Klientinnen und Klienten. Tats?chlich begleiten wir aktuell aber vornehmlich unsere bestehende Kundschaft dabei, in den versch?rften ?Krisenmodus? zu kommen, dazu telefonieren wir mitunter t?glich miteinander oder leisten anderweitige Remote-Unterst?tzung. Damit auch andere von unseren Erfahrungen profitieren k?nnen, haben wir ein kompaktes Paper ? ?Emergency-Modus in der Praxis ? Konkrete Empfehlungen zur Existenzsicherung in der COVID9-Phase? ? erstellt, das als praktischer Leitfaden zur Orientierung f?r F?hrungskr?fte Handlungsimpulse geben soll. Eine zentrale Ma?nahme ? darauf kommen wir sp?ter noch ? besteht in der Installation einer t?glich zusammenkommenden ?Krisen-Taskforce?. Wir haben Sie ?Corona-Taskforce? genannt. Hintergrund daf?r ist, dass wir es nach 10 Jahren Boom zwar mit wachstums-, aber wenig krisenerfahrenen F?hrungskr?ften und -gremien zu tun haben. Diese m?ssen jetzt quasi ?ber Nacht in einen radikal anderen Modus wechseln, den sie kaum aus eigener Erfahrung kennen. Darum ist Unterst?tzung dieser Tage so wichtig.

Wie sch?tzen Sie die aktuelle Wirtschaftskrise im Vergleich zu den vergangenen ein? Gibt es Besonderheiten oder Gemeinsamkeiten?

Ganz ?hnlich wie 2009/2010 sind wir heute auch medial im Grunde t?glich mit Nachrichten konfrontiert, die gut geeignet sind, um darauf geschockt oder sogar mit Angststarre zu reagieren. Auch die Dauer der Krise ist heute genauso wenig absehbar, wie sie es im Fr?hstudium der vergangenen globalen Wirtschaftskrisen war. Daher wissen wir auch nicht, ob sie eher L-f?rmig, V-f?rmig oder U-f?rmig verl?uft, mit welchem Ausma? an Rezession wir es also zu tun bekommen. Auch die heutige Unsicherheit im globalen Ausma? entspricht unseren Erfahrungen mit vergangenen Krisen.

Im Unterschied zur Krise 2009/2010 stehen heute allerdings gerade in Deutschland erprobtere Instrumente und Hilfspakete der Wirtschaftspolitik zur Verf?gung, auf die man recht schnell, wie es aktuell vorgesehen ist, zur?ckgreifen und sie nutzen kann. Ein erheblicher Unterschied besteht allerdings darin, dass wir es 2009 nicht mit Kontakteinschr?nkungen und ?Social Distancing? zu tun hatten. Dadurch trifft es heute im Vergleich zu einem sehr fr?hen Zeitpunkt gerade die kleinen Dienstleistungsbetriebe im B2C-Bereich, also das ?rtliche Taxiunternehmen, die Eisdiele von nebenan oder das Hotel- und Gastst?ttengewerbe, um nur wenige Beispiele zu nennen. Viele dieser kleinen Unternehmen sind nicht mit ?ppigen Reserven ausgestattet und haben es mit hohen Personalkosten zu tun. Genau darauf reagiert der Bund ja mit seinen F?rderinstrumenten gerade in besonderer Weise, sicher auch mit Blick auf die vielen Besch?ftigten in diesem Bereich. Der gravierendste Unterschied besteht aber sicher darin, dass es heute nicht darum geht, den Finanzsektor am Leben zu halten, sondern um Menschenleben. Und zuletzt haben wir eine weltweite Entwicklung ?ber viele Branchen und Wertsch?pfungsketten hinweg. So etwas haben wir bis jetzt in keiner Krise erlebt, und sie wird die Wirtschaft neben den bereits heute eingetretenen Auswirkungen mit ihren Folgen und Nebenwirkungen massiv treffen.

So individuell ja jedes Unternehmen ist, gibt es so etwas wie Quintessenzen, die Sie w?hrend der aktuellen Krise jedem Unternehmen empfehlen w?rden? Was w?ren denn die drei wichtigsten Ma?nahmen?

Ganz ?hnliche Ans?tze sind unserer Erfahrung nach in den meisten Unternehmen sinnvoll. Dazu geh?rt der eingangs angesprochene Krisenstab, den wir ?Corona-Taskforce? nennen. Dabei geht es schlicht darum, dass alle F?hrungskr?fte eines Unternehmens t?glich (und sei es virtuell) zusammenkommen, um neue Informationen gemeinsam zu bewerten und zu interpretieren, abgestimmt zu handeln, auszuwerten und nachzusteuern. Wir empfehlen dabei eine Haltung des reflektierten Pragmatismus. Mehr dazu finden Sie in unserem entsprechenden Paper, unter anderem die Handlungsfelder, die es lohnt, sich anzuschauen, und Leitfragen, die es sich zu stellen lohnt. Der zweite Aspekt betrifft die Gesundheitsf?r- und -vorsorge f?r die Besch?ftigten mit ihren Abstands- und Hygieneregelungen, Homeoffice-M?glichkeiten und vielem mehr, das Sie ja alles aus den Medien und Ihrem t?glichen Miteinander kennen. Drittens ist es wie in allen Krisen- und Turnaround-Phasen wichtig, dass die Kommunikation mit Besch?ftigten und Stakeholdern aufrechterhalten und intensiviert wird. Zielgruppen dieser 360-Grad-Kommunikation sind neben den eigenen Besch?ftigten nat?rlich vornehmlich Finanzierer, Kunden, Lieferanten, Beh?rden und Netzwerke. Viertens empfehlen wir jedem Betrieb die Arbeit mit der ?Corona-Cash-Gleichung?. Wie bei einer Liquidit?tssteuerung ?blich, geht es darum, zu erwartende Einzahlungen den zu erwartenden Auszahlungen gegen?berzustellen und mit dem zur Verf?gung stehenden Finanzierungsrahmen abzugleichen. Daf?r empfehlen wir einen Zeitraum von 13 Wochen. Im Unterschied zu ?blichen Liquidit?tsbetrachtungen geht es heute aber besonders darum, die zu erwartenden Einzahlungen darauf abzupr?fen, wie realistisch sie sind. So hat ein Textillieferant, der die Fr?hjahrskollektion bereits an den Einzelhandel ausgeliefert hat, laut Papierlage beispielsweise eine durchg?ngig positive Liquidit?tssituation, w?hrend man realistischerweise kaum davon ausgehen kann, dass noch viele der offenen Posten nach erster F?lligkeit beglichen werden. In dieser Corona-Cash-Gleichung werden auf der Einzahlungsseite dann eben auch alle F?rderungsund Unterst?tzungsm?glichkeiten einbezogen. Auf dieser Basis kann die Liquidit?tsentwicklung sinnvoll gesteuert werden, nat?rlich inklusive aller Aktivit?ten, die dazu dienen, die Einzahlungen zu erh?hen bzw. zu stabilisieren und Ausgaben konsequent runterzufahren.

Sehen Sie Besonderheiten, wie der Mittelstand von der Krise betroffen ist und darauf reagiert?

?ber das Segment der kleinen Dienstleistungsunternehmen, die in einer besonders gravierenden Weise von jetzt auf gleich quasi auf Null herunterfahren m?ssen, haben wir bereits gesprochen. Der etwas gr??ere Mittelstand ist von dem wegbrechenden Absatz oder von den Engp?ssen internationaler Zulieferer hart getroffen. Gewinner gibt es aus nachhaltiger Perspektive kaum. Die Handlungsf?higkeit der mittelst?ndischen Unternehmen h?ngt vornehmlich von der Kapital- und Liquidit?tsausstattung ab und offensichtlich in vielen F?llen auch von ihrer ?Digital Fitness?. Wie leicht es gelingt, die Arbeitsprozesse zu virtualisieren oder digitale Vertriebskan?le zu nutzen, ist nat?rlich davon beeinflusst, wie viele Erfahrungen damit bestehen. Im Vergleich zu manchen Sanierungsf?llen vor der Krise besteht ein gewisser Vorteil darin, dass der Ernst der Lage allen klar ist.

Sie formulieren ja gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der Struktur Management Partner GmbH die These, dass heute nicht der flexibelste Wirtschaftsakteur ?berlebt, sondern der, der es schafft, ausreichend Liquidit?t zu sichern. Das leuchtet zun?chst einmal intuitiv ein, aber wie passt das zu den innovativen Mittelst?ndlern, die ??ber Nacht? ihre Angebote und Gesch?ftsmodelle ver?ndern, um ?am Markt zu bleiben?. Da f?llt mir beispielsweise das Fitnessstudio ein, das Online-Yoga-Kurse f?r die daheimgebliebenen Kinder produziert, oder die Apfelweinkneipe, die ihren Apfelwein ?to go? anbietet bis hin zu Textilunternehmen und Automobilzulieferern, die Gesichts- und Atemmasken produzieren.

Vieles ver?ndert sich ja gerade schnell und unberechenbar, Konsumverh?ltnisse wandeln sich in globalem Ausma?. Darum ist nat?rlich jeder gut beraten, der sein Gesch?ftsmodell anpasst. Dies kann aber erst gelingen, wenn die Liquidit?tsausstattung dies auch zul?sst. Was helfen gute Gesch?ftsideen, wenn sie schlicht nicht finanzierbar sind?

Was w?rden Sie den betroffenen Entscheiderinnen und Entscheidern pers?nlich mit auf den Weg geben?

Wirksame F?hrung ist gefragt. Dass die Krise da ist, ist unbestritten, entscheidend ist jedoch, wie jetzt die verantwortlichen F?hrungskr?fte damit umgehen. Alles was die F?hrung heute tut oder l?sst, wird von Besch?ftigten und Stakeholdern beobachtet. Genauso wie Kundinnen und Kunden gerade sehr genau nachvollziehen, wie ein Unternehmen in der Krise agiert. Positive Beispiele kennen Sie vielleicht alle aus den Medien, wenn beispielsweise Thyssen das Kurzarbeitergeld aufstockt. Den F?hrungskr?ften selbst rate ich zu einem besonnenen Pragmatismus und einem realistischen Optimismus, eine Haltung also, in der sich Zuversicht mit einer realistischen Einsch?tzung der Lage und wirksamen Handeln verbindet. Unreflektierte ?Wir schaffen das?-Parolen etwa sind v?llig unangebracht. Dazu kommt eine eindeutige Priorit?tensetzung im Planen, eine gemeinsame Wirksamkeit im Handeln und ein Bewusstsein dar?ber, dass man im eigenen Unternehmen auch als Vorbild und ?Role Model? dient. Mit Blick auf die Wirksamkeit passt ein alter Songtitel einer K?lner Karnevalsband: Wenn nicht jetzt, wann dann? Und man kann erg?nzen: Und wenn nicht wir, wer sonst? Last but not least ist der Austausch mit anderen Unternehmen ?ber gute L?sungen Gold wert. Und immer daran denken: Inkonsequenz r?cht sich in der Krise sehr schnell. Und dennoch Solidarit?t mit dem mittelbaren oder unmittelbaren Umfeld ist ebenfalls Gebot der Stunde und wird in Erinnerung bleiben.

Vielen herzlichen Dank f?r die Einblicke, die Sie uns gew?hrt haben, Herr Grabow!