Talkin? ?bout an evolution - Innovationen als Ergebnis sozialer Evolution

Finn-Rasmus Bull ist Senior Consultant bei der Beratungsgesellschaft Metaplan? ? Thomas Schnelle Gesellschaft f?r Planung und Organisation mbH und forscht zu postb?rokratischem Organisieren in Gro?organisationen. Kontakt: Finn-RasmusBull(at)metaplan.com

Judith Muster ist Partnerin bei Metaplan und Mitarbeiterin am Lehrstuhl f?r Organisations- und Verwaltungssoziologie der Uni Potsdam. Kontakt: JudithMuster(at)metaplan.com

Unternehmen legen zuweilen ein merkw?rdiges Verh?ltnis zum Thema Innovation an den Tag. Auf der einen Seite finden sich diejenigen, die f?r ihren Innovationsgeist gepriesen werden oder sich zumindest selbst als Bastionen f?r Neuerung begreifen. Auf der anderen Seite stehen solche Firmen, die Aufholbedarf sehen oder die als unbewegliche Relikte verschrien sind und die ? wie k?nnte es anders sein ? sich reichlich M?he geben, kurzfristige Abhilfe in Aussicht stellen.

In beiden Lagern d?rften solche (Eigen-Diagnosen bei Mitarbeitenden nicht selten zu Kopfsch?tteln f?hren. Mitarbeitende in (selbsternannten Innovationsfabriken m?gen im Alltag die Erfahrung machen, dass sie sich an den Beharrungstendenzen von Hierarchie und Mikropolitik die Z?hne ausbei?en. Angestellte auf vermeintlichen Innovationsfriedh?fen hingegen lachen sich vermutlich vielerorts ins F?ustchen ? in Anbetracht der innovativen (UmWege, mit denen sie ihre Organisation trotz allem beweglich halten. Doch woran liegt es, dass Innovation so wenig plan- und dennoch st?ndig erlebbar erscheint?

Der evolution?re Charakter der Innovation

Um Innovationen ad?quat verstehen zu k?nnen lohnt es sich, sie als Ergebnis sozialer Evolution in Organisationen zu verstehen. Ob und wie sie in der Organisation Wirksamkeit entfalten, bemisst sich dabei daran, inwiefern sie eine reale Ver?nderung der Strukturen nach sich ziehen. Die daf?r notwendige soziale Evolution setzt sich dabei aus den Elementen Variation, Selektion und Restabilisierung zusammen.

F?r Organisationen bedeutet dieser Dreiklang ganz konkret, dass Innovationen aus mindestens drei Gr?nden unwahrscheinlich sind ? und trotzdem st?ndig vorkommen.

  • Grund 1: Neues taucht in Organisationen zun?chst als Variation auf. Die gute Nachricht f?r alle Innovationshungrigen ist, dass Variationen h?ufig auftreten und damit eben nicht seltene Gl?cksf?lle sind. Sie sind n?mlich erst einmal nichts anderes als Abweichungen von der bestehenden Routine. Die schlechte Nachricht: die allermeisten von ihnen werden von der Organisation vergessen, d.h., es wird kein Bezug mehr auf sie genommen.
  • Grund 2: Wird eine neue Idee erst einmal aufgenommen und nicht vergessen, steht diese erneut am Scheideweg. Denn eine Neuerung einmal auszuprobieren, bedeutet bei weitem noch nicht, diese auch gutzuhei?en und ihre Etablierung zu f?rdern. Auch das viel zitierte ?schlechte Beispiel?, an dem gerne gezeigt wird, wie man es nicht macht, bedeutet eine Bezugnahme auf die Variation und damit eine, in diesem Fall negative, Selektion. Sie ist dabei immer auch abh?ngig von mikropolitischen Gemengelagen und strukturellen Gegebenheiten und eben keine quasi nat?rliche Auslese der besten Idee.
  • Grund 3: Gelingt es, die Abweichung vom Bestehenden positiv zu selektieren, gilt es, eine weitere H?rde zu nehmen: die der Restabilisierung. Das hei?t: die Abweichung muss sich als neuer Normalfall etablieren. Was zun?chst banal klingt, stellt sich in der Realit?t nicht ganz so einfach dar. Das Resultat h?ngt n?mlich nicht blo? vom Willen der beteiligten Akteure ab, sondern vor allem davon, ob die neue Arbeitsweise oder das neue Produkt im Verh?ltnis der Organisation zu ihrer Umwelt bestehen kann.

Warum es mehr als guten Willen braucht?

Kein Wunder, dass Unternehmen vor dieser Gemengelage nach der Beherrschbarkeit von Innovationsprozessen d?rsten. Nachdem die Erkenntnis, dass lineare Prozessmodelle es nicht richten werden, inzwischen auch im Mainstream fest verankert ist, sucht man jetzt nach alternativen M?glichkeiten, Innovationen als freie Radikale der Organisationswelt in eine Form des kontrollierten Chaos zu ?berf?hren. Die h?ufig gew?hlten L?sungen sind bekannt: Startups in konzerneigenen Inkubatoren, Acceleratoren in denen Ideen vorangetrieben werden sollen oder Kooperationen mit anderen Organisationen innerhalb und au?erhalb der eigenen Branche oder gar des Wirtschaftssystems. Und w?hrend sich dabei immer wieder fruchtbare Konstellationen ergeben, gilt f?r viele dieser Initiativen eben auch, dass sie im Sande verlaufen oder am Rande der Mutterorganisation vor sich hin innovieren, ohne ernsthaften Einfluss auf diese zu nehmen.

Die F?rderung neuer Ideen und die damit verbundene Erh?hung der Variation ist eben nur eines von mehreren Erfolgskriterien. Selektion und Restabilisierung, so der Eindruck, sind im Gegensatz dazu landl?ufig als kritische Erfolgsfaktoren untersch?tzt. Genauso verwundert es wenig, wenn als Innovationen gestempelte Initiativen, die schlussendlich alles beim Alten lassen, Hochglanz-Papiertiger bleiben, die eher in belustigten Runden auf Firmenfeiern f?r Furore sorgen als im Arbeitsalltag.

?und was Innovation als F?hrungsaufgabe wirklich ausmacht

Wie so h?ufig ist es auch beim Thema Innovation mit Universalrezepten nicht allzu weit her. Ein verpflanzbares Innovations-Gen l?sst sich weder in Kulturstudien von US-amerikanischen High-Tech-Startups noch in bunten und modern titulierten Personalentwicklungsprogrammen finden. Wer neue L?sungen jenseits der Anh?ufung von Variationen unterst?tzen m?chte, ist aber in jedem Fall gut beraten, Irritationen des Bestehenden in der eigenen Organisation zu verankern. Konkret hei?t das, die bestehenden Erwartungen hin und wieder als das sichtbar werden zu lassen, was sie immer schon sind: kontingent. Diese Kontingenz, also das Wissen dar?ber, dass es zwar nicht beliebig aber immer auch anders sein k?nnte, bleibt in der Regel im Alltag latent ? nur so k?nnen Strukturen ausreichend Orientierung bieten.

Will man Abweichung ermutigen und deren Etablierung positiv verst?rken, kann es helfen, diese Kontingenzfenster bewusst zu ?ffnen ? und den Willen zur Ver?nderung nicht nur kommunikativ zu adressieren, sondern durch F?hrung und Entscheidung konkret zum Ausdruck zu bringen. Dazu geh?rt dann aber auch, die ge?ffneten Kontingenzr?ume rechtzeitig wieder zu schlie?en und Neuerungen auf diese Weise in der Organisation ankommen zu lassen.