Neues und ?altes? Gesch?ft verbinden - Ein Fachgespr?ch ?ber den Umgang mit Paradoxien und (vermeintlichen) Umsetzungsschw?chen

Patrick Gro?heim und Alexander Sonntag leiten gemeinsam das Projekt ?Wettbewerbsf?hig mit digitalen Gesch?ftsmodellen und Personalstrategien? im RKW Kompetenzzentrum. Dort arbeiten sie mit kleinen und mittleren Unternehmen vor allem daran, stimmige Zukunftsbilder zu entwickeln ? und diese auch umzusetzen.

Kontakt: grossheim(at)rkw.de und sonntag(at)rkw.de

Patrick: Lieber Alex, wir haben mittlerweile ja einige Unternehmen gemeinsam begleitet, die ihr Gesch?ftsmodell weiterentwickeln oder neue Gesch?fte integrieren wollten. Als Knackpunkt habe ich h?ufig die Frage empfunden, wie das Neue so mit dem Alten kombiniert werden kann, dass beides gedeiht. Im schlimmsten Fall leidet ja beides. Wie siehst Du das?

Alexander: Diese Vereinbarkeit scheint mir eine der wichtigsten Fragestellungen zu sein, die im ganzen Prozess durchgehend mitschwingt: Wie schaffen wir den Spagat zwischen ambitionierten, aber machbaren Zielen? Kein Wunder, sind die Ressourcen bei erfolgreichen Mittelst?ndlern doch schon im operativen Gesch?ft mehr als gebunden. Umso verwunderlicher finde ich, dass es beim Thema Gesch?ftsmodellentwicklung meist um die Entwicklung von m?glichst innovativen Ideen geht, aber selten bis nie um des Pudels Kern.

Patrick: Ja, Spagat trifft es aus meiner Sicht sehr gut: Wer sich am Anschlussf?higen (oder Machbaren) orientiert, verliert das Sinnvolle (und mitunter Ambitionierte) aus den Augen ? und wer sich zu einseitig an den ambitionierten Zielen orientiert, riskiert die Machbarkeit und die Unterst?tzung f?r die ambitionierten Pl?ne?! Und immer dann, wenn es zwei Seiten einer Medaille gibt, die sich einerseits ausschlie?en und die es andererseits beide braucht, riecht das f?r mich verd?chtig nach Paradoxie. Und vor meinem inneren Auge erscheinen Niklas Luhmann, mit dem ich dich gerade nicht behelligen will, aber auch Herbert Zahnen von der Zahnen Technik GmbH mitsamt seines F?hrungskreises. Hier waren ?ambitioniert? und ?machbar? f?r mich nie ein Widerspruch. Alt und Neu waren in meiner Erinnerung dort immer sauber unterschieden und gleichzeitig eins? Was bleibt, ist meine Neugier, was Du mit ?des Pudels Kern? genau meinst.

Alexander: Die Bearbeitung von Stillst?nden. Anders als intuitiv anzunehmen, sind es n?mlich genau sie, die erkl?rungsbed?rftig sind ? und nicht die Ver?nderungen, wenn sich das Morgen mehr oder minder einfach aus und neben dem Heute entwickelt. Nehmen wir mal das reale Beispiel zweier M?belhersteller: Beide sind heute vor allem im B2B-Bereich ?ber Zwischenh?ndler aktiv mit hochwertigen Produkten. Beide m?chten zuk?nftig in einem Nischenmarkt auch Privatkunden ansprechen. Und beide haben daf?r eine neue vielversprechende Produktpalette entwickelt, ein Marketingkonzept vorbereitet und stehen vor der kniffligen Aufgabe, die Fertigung, Lagerung und den Versand von Kleinauftr?gen in ihre bestehenden Serienproduktionsprozesse zu integrieren. W?hrend in der einen Firma die Umsetzung gl?ckt, unter hohem Einsatz und mit dem Preis, ihre Prozesse teils erheblich umstellen zu m?ssen, will dieser Schritt bei der anderen Firma nicht gelingen. Die Umsetzung stockt, verz?gert sich und kommt nicht recht voran. Und damit landen wir bei der eigentlich interessanten Frage: Was passt hier (noch) nicht (zusammen)? Und diesen Punkt erleben wir erstaunlich h?ufig, wenngleich die Gr?nde daf?r sehr unterschiedlich und vielschichtig sein k?nnen.

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Patrick: Ok, damit kann ich viel anfangen. Wenn ich dich richtig verstehe, richtest Du die Blickrichtung hier nicht auf die Idee und ? ?berspitzt formuliert ? darauf, wie man das Neue nur recht ordentlich in das Bestehende hineinpresst, sondern darauf, was dem sch?nen, neuen Plan entgegensteht. Und da setzt sich ein kleines Teufelchen auf meine Schulter und sagt: ?Na, ist doch klar, das Alte nat?rlich!?

Auch wenn ich bef?rchte, dass mein Faible f?r das Denken in Paradoxien zu offensichtlich wird, lande ich unfreiwillig beim Innovationsparadoxon (siehe Abbildung) und einer Dynamik in Unternehmen, bei der sich die Vertreter der Innovation und die Verfechter des Bew?hrten teils verbitterte und meist verdeckte K?mpfe dar?ber liefern, ob das Heil im Aufbruch zu neuen Ufern oder in der Pflege des Bestehenden liegt. Je lauter die einen, desto vehementer die anderen. In diesen F?llen hilft ja meist ein Dialog dar?ber, was f?r das eine und was f?r das andere spricht, eine Verst?ndigung ?ber unvermeidbare Preise der einen wie der anderen Seite der Entscheidung und ein Sich-in-Beziehung-setzen mit dem prinzipiell personenunabh?ngigen Muster. Ist ja eh erstaunlich, wie gerne Mitarbeiter Organisationsdynamiken pers?nlich nehmen (andersherum ist das kaum vorstellbar). Ist es dann am Ende wirklich so einfach?

Alexander: Was Du beschreibst ist ja nur ein m?gliches Sandkorn im Umsetzungsgetriebe. Dass ein Teil der Belegschaft einem Wandel nicht begeistert gegen?bersteht, ist erstmal wenig ?berraschend, zumal wenn dieser ambitioniert und mit hohem Aufwand und gro?en Unsicherheiten verbunden ist.

Nehmen wir wieder das Beispiel des M?belherstellers: In diesem Fall ist Kommunikation ganz sicher hilfreich. Vielleicht wurde es aber auch vers?umt, die notwendige Unterst?tzung zur Verf?gung zu stellen, etwa bei der Anpassung der Prozesse, der Ressourcenausstattung oder der Infrastruktur. Mag sein, dass wir es nicht prim?r mit einer Frage der Einstellung oder der Unterst?tzung sondern mit einer Frage der Ziele selbst zu tun haben. Etwa wenn es nicht gelungen ist, sich an anderer Stelle von Zielen, Gesch?ftsfeldern oder Produkten zu verabschieden, die bestehenden Strukturen durch eine Make-or-Buy-Entscheidung zu entlasten oder ein passenderes Produkt zu w?hlen, das in den bestehenden Strukturen abbildbar ist.

Die Gr?nde f?r das Ausbleiben eines passenden Bildes von morgen m?gen vielleicht sogar jenseits der scheinbaren Sachprobleme in grunds?tzlicheren Mustern begr?ndet liegen: etwa bei einer Schwierigkeit des Gesch?ftsf?hrers, gewachsene Traditionen und Produktfelder loszulassen, in ungel?sten Interessenkonflikten im F?hrungsgremium oder problematischen Familiendynamiken. Das alles macht schon deutlich: Wo genau Problem und Hebel zu suchen sind, l?sst sich nur im konkreten Einzelfall kl?ren.

Patrick: Ich finde, das ist ein sch?nes Schlusswort. Um es zum Abschluss noch etwas knackiger zu machen, h?tte ich noch zwei Zuspitzungen in petto: Erstens h?ngen viele Umsetzungsprobleme daran, dass eine unpassende L?sung eben nur sehr schwer ihren Weg in die Realit?t findet. Damit ist ?Umsetzungsschw?che? mitunter ausgesprochen funktional und bewahrt das Unternehmen vor Schlimmeren. Zweitens ist die Frage, wie man Alt und Neu am besten kombiniert, abh?ngig davon, wo die H?rden h?chst individuell liegen. Franziska M?ller-Tiberini w?rde vermutlich sagen: ?Alt und Neu verbinden hei?t kommunizieren, sich gemeinsam ausrichten, abstimmen, aber auch trennen?.

Alexander: Ich m?chte vor allem Mut machen, sich dem Neuen zu widmen und sich den m?glichen Fallstricken aktiv zu stellen. Und das hei?t letztendlich, offen miteinander zu kommunizieren, sich bewusst und ehrlich zu hinterfragen, ein gemeinsames tragf?higes Bild vom morgen zu entwickeln. F?r solch eine Art der Selbstvergewisserung kann ein systematischer Prozess zur Gesch?ftsmodell- oder Strategieentwicklung einen sinnvollen Rahmen bieten.