Management am Rande des Chaos

Stefan K?hl ist Professor f?r Organisationssoziologie an der Universit?t Bielefeld. Er arbeitet als Organisationsberater bei der Metaplan? ? Thomas Schnelle Gesellschaft f?r Planung und Organisation mbH f?r Unternehmen, Ministerien und Verwaltungen. Von ihm erschienen vor kurzem in Neuauflage ?Wenn die Affen den Zoo regieren. Die T?cken der flachen Hierarchien? (Campus 2015) und ?Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur? (Campus 2015).

Kontakt: stefan.kuehl(at)uni-bielefeld.de

Mit paradox klingenden Formulierungen wie ?kontrollierte Autonomie?, ?zentralistische Dezentralisierung?, ?b?rokratische Entb?rokratisierung?, ?erzwungene Freiheit?, ?gemanagte Autonomie?, ?gef?hrte Selbststeuerung? oder ?fremdorganisierte Selbstorganisation? wird die Vereinbarkeit von dezentraler und zentraler Steuerung wie auch von hierarchischen und nicht hierarchischen Steuerungsmechanismen proklamiert. Diese paradoxen Formulierungen spielen darauf an, dass die Steuerung ?ber Hierarchie das zentrale Medium f?r die Koordination von nicht hierarchischen Koordinationsformen wie Markt oder Verst?ndigung ist. Innerhalb der Organisation kann die Hierarchie sehr effektiv dazu genutzt werden, Autorit?t auszuweisen, die nicht an Bedingungen der Unter- und ?berordnung gebunden ist.

Die regelm??igen Debakel langfristiger Planung zeigen, dass die Organisationen des 21. Jahrhunderts nicht an zu viel, sondern an zu wenig innerer Komplexit?t und Unsicherheit leiden. Manager und Mitarbeiter scheinen sich von der lange Zeit so popul?ren Annahme zu trennen, dass Unsicherheit und Instabilit?t die Konsequenzen aus Inkompetenz und Ignoranz sind. Vielmehr werden diese Ungewissheiten immer mehr als ein notwendiges, ja lebenswichtiges Fundament f?r die Organisationen des 21. Jahrhunderts begriffen.

Sicherlich ? Komplexit?t, Chaos und Instabilit?t zerst?ren die allt?glichen Routinen in der Organisation; Routinen, die nicht selten einen erheblichen Teil der Wertsch?pfung garantieren. Aber gerade dieser Prozess der kreativen Zerst?rung scheint ? so jedenfalls die Auffassung in der Managementliteratur ? den Platz f?r Innovation und Wandel zu schaffen. Gefahren der Unsicherheit und Instabilit?t wandeln sich so in M?glichkeiten der ?berraschung. Chaos wird zum ?Wagniserreger?.

Damit der Prozess der Zerst?rung kreativ und nicht ruin?s ist, Unsicherheit und Komplexit?t nicht zur explosiven Bedrohung werden, sondern sich produktiv von den Organisationen nutzen lassen, scheint man in Organisationen danach zu streben, das Chaos organisationell zu begrenzen. Organisationen m?ssen ? so die Auffassung ? ihre innere Komplexit?t erh?hen, sie aber durch vereinfachte, dezentralisierte Strukturen beherrschbar machen.

Organisationen m?ssen sich offenbar zunehmend mit gegens?tzlichen, paradoxen Anforderungen auseinandersetzen: Sie sehen den Zwang, ihre Komplexit?t gleichzeitig zu steigern und zu reduzieren. Sie m?ssen desintegrieren, und sie m?ssen gleichzeitig integrieren. Sie m?ssen global auftreten und gleichzeitig lokal verankert sein. Sie m?ssen sowohl kreatives Chaos als auch Ordnung organisieren, sie m?ssen flexibel und stabil sein. Es herrscht immer mehr die Meinung vor, dass der Umgang mit Dilemmata, Ambiguit?ten und Widerspr?chlichkeiten zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor f?r Organisationen wird.

Die Herausforderung scheint f?r Organisationen darin zu bestehen, die beiden Seiten eines Dilemmas gleichzeitig wirksam werden zu lassen. Die beiden sich eigentlich widersprechenden Pole m?ssen sich ? so die sich im Management durchsetzende Meinung ? in Organisationen zur gleichen Zeit entfalten k?nnen. Erst durch diese neuartige Mischung von Mechanismen der Flexibilit?t und der Stabilit?t k?nnten Organisationen ihre Leistungsf?higkeit erhalten und steigern. Nur der simultane Doppelbezug auf Wiederholung und Wandel hebe Organisationen auf ein Niveau, auf dem Flexibilit?tsanforderungen und Prozessintegration miteinander vereinbar seien.

Nicht die einseitige Betonung von Wandlungsf?higkeit, sondern eine intelligente Mischung von Routinen, Ritualen und Programmen mit einer ?ffnung der Organisation f?r Ver?nderungen erm?gliche es, externes Chaos produktiv umzusetzen, ohne an ?bersteigerter interner Unsicherheit zugrunde zu gehen.