Den Stier bei den H?rnern packen ? Sich selbst und das Unternehmen neu erfnden

Univ. Prof. Dr. Rudolf Wimmer ist Professor f?r F?hrung und Organisation am Institut f?r Familienunternehmen an der Universit?t Witten/Herdecke. Vizepr?sident der Privaten Universit?t Witten/ Herdecke bis 2016. Aktuelle Forschungsschwerpunkte zu den k?nftigen ?berlebensfragen von Familienunternehmen, insbesondere zu den speziellen Herausforderungen schnell wachsender Familienunternehmen. Zahlreiche Publikationen. Mitgr?nder der osb, Gesellschaft f?r systemische Organisationsberatung. Partner der osb international AG. Mitglied im Aufsichtsrat diverser Familienunternehmen in Deutschland und ?sterreich. Kontakt: Rudolf.Wimmer@osb-i.com

Der Prozess der Digitalisierung l?sst in Wirtschaft und Gesellschaft keinen Stein auf dem anderen. Diese Botschaft ist bei den allermeisten Unternehmen inzwischen mit aller Wucht angekommen. Sie haben die Suche nach geeigneten Antworten auf die damit einhergehende Ver?nderungsdynamik als DIE strategische Herausforderung der n?chsten Jahre erkannt.

Worin besteht nun das Spezifische dieser unternehmerischen Herausforderungen?

Die bahnbrechenden technologischen Errungenschaften in der Datenspeicherung, der Datenverarbeitung und der Daten?bertragung sowie in der computerbasierten Kommunikation und Vernetzung mit Hilfe des Internets befeuern eine Innovationsdynamik, die ganz au?ergew?hnliche und gleichzeitig h?chst unterschiedliche Entwicklungsfelder stimuliert: Internet der Dinge, Big Data Analytics, k?nstliche Intelligenz, 3D-Druck, selbstlernende, untereinander kommunikationsf?hige Softwarel?sungen, immer leistungsf?higere mobile Endger?te, neue Formen der Robotic, etc. Das Leistungsverm?gen dieser technologischen Errungenschaften, auf denen die digitale Revolution mit all ihren Facetten letztlich beruht, w?chst exponentiell (basierend auf dem Moore?schen Gesetz). Dies erkl?rt die disruptiven Verschiebungen, die wir schon seit geraumer Zeit in einigen Branchen beobachten k?nnen, beispielsweise in der Musikindustrie, Werbewirtschaft oder Tourismusund Reisebranche.

Je st?rker Unternehmen im Kern ihres Gesch?fts auf der Generierung, Speicherung, Verarbeitung und ?bermittlung von Daten und Informationen sowie auf prim?r wissensbasierten Prozessen beruhen, umso mehr sind sie in ihrer Existenz von diesem Tsunami betroffen. Daten bilden den alles entscheidenden Rohstoff im digitalen Zeitalter. Der Kampf um diese Rohstoffquellen ist l?ngst entbrannt. Angef?hrt wird dieser Kampf von den Giganten der Internetwirtschaft, den Googles, Facebooks, Amazons und Alibabas dieser Welt. Die hier praktizierten Gesch?ftsmodelle beg?nstigen bislang nicht gekannte Monopolbildungen, eine ?the winner-takes-it-all-economy?, die f?r etablierte Unternehmen aus der ?alten? Welt radikal ge?nderte Wettbewerbsverh?ltnisse entstehen l?sst.

Wir beobachten, dass eine Reihe gro?er Unternehmen inzwischen auch in Deutschland enorme Anstrengungen in die Wege geleitet hat, um sich f?r die digitale Welt fit zu machen. Dieses Bem?hen sieht man an den wichtigen Playern der Automobilbranche (BMW, Daimler, Bosch, Continental, ZF), im Medienbereich (Springer, Burda), im Handel (Otto Group, Metro), im Softwarebereich (SAP, IBM), in der Halbleiterproduktion (Infineon). All diese Unternehmen nehmen zurzeit viel Geld in die Hand, um an ganz unterschiedlichen Stellen experimentierend herauszufinden, welche ge?nderten beziehungsweise welche ganz neuen gesch?ftlichen Aktivit?ten in Zukunft das eigene Fortbestehen sichern k?nnten. Alle sind sie dabei noch heftig am Probieren. Niemand hat den Stein der Weisen bereits gefunden.

Was aber bedeuten all diese Entwicklungen speziell f?r familiengef?hrte mittelst?ndische Unternehmen?

Ein erster wesentlicher Schritt besteht in diesem Zusammenhang immer in der Beantwortung der Frage: Besitzen wir an der Spitze des Unternehmens die erforderliche Urteilskraft, um die vielf?ltigen Implikationen, die die Digitalisierung f?r das eigene Unternehmen angesichts seiner bisherigen Geschichte, seiner aktuellen wirtschaftlichen Lage, seiner Wettbewerbsposition und strategischen Ausrichtung besitzt, realit?tsgerecht einsch?tzen zu k?nnen? In den meisten F?llen ist dieses Urteilsverm?gen in der F?hrung solcher Unternehmen aus verst?ndlichen Gr?nden nicht vorhanden. Deshalb besteht eine erste Reaktion h?ufig darin, L?sungen bei der hauseigenen IT zu suchen oder externe Dienstleister mit deren Erarbeitung zu beauftragen. Beide Wege erweisen sich fast immer als Irrwege. Man verliert dabei viel Zeit und Geld, ohne ernsthaft schlauer geworden zu sein. Es f?hrt kein Weg daran vorbei, sich im Topmanagement mit dem entsprechenden Know-how zu verst?rken, weniger im rein technologischen Sinn, sondern vielmehr mit Blick auf die gesch?ftspolitischen Dimensionen des Digitalisierungsgeschehens. Erst dann macht es Sinn, sich ma?geschneidert f?r das eigene Unternehmen eine eigene ?Digitalisierungsstrategie? zu erarbeiten. Gemeint ist damit die sorgf?ltige Beantwortung der Frage: In welchen Aspekten unserer Unternehmensentwicklung sind wir durch das Digitalisierungsgeschehen potenziell ber?hrt? Welche Chancen und Bedrohungen sind kurzund mittelfristig mit diesem Ber?hrtsein verbunden? Die Suche nach existenzsichernden Antworten auf diese Fragen ist keineswegs trivial. Sie bedeutet angesichts des enormen L?rms und des Alarmismus, der rund um das Digitalisierungsthema inzwischen entstanden ist, eine halbwegs klare Sicht auf die eigenen unternehmerischen Herausforderungen in diesem Zusammenhang zu gewinnen.

Wie findet sich aber nun eine solche Digitalisierungsstrategie und dementsprechend auch ein neues Gesch?ftsmodell?

Auf einer ganz allgemeinen Ebene kann man bei dieser Suche einerseits davon ausgehen, dass wesentliche Prozesse in der Erbringung des eigenen Leistungsspektrums massiv von der Digitalisierung tangiert werden ? sei es unternehmensintern oder ?ber alle Glieder der Wertsch?pfungskette hinweg (den Lieferanten gegen- ?ber, aber vor allem in Richtung der Kunden). Das reicht von einer nennenswerten Optimierung und Automatisierung des gesamten Produktionsgeschehens und aller Supply Chain Aktivit?ten (Stichwort: Industrie 4.0) bis hin zu ganz neuen Formen der Kooperation und des Austauschs mit den Kunden.

Zum anderen tangiert die Digitalisierung nat?rlich auch das spezifische Wertangebot des Unternehmens an seine unterschiedlichen Kundenzielgruppen, also jenes Produktund Dienstleistungsspektrum, mit dem das Unternehmen im Verh?ltnis zu den Mitbewerbern seine unverwechselbare Position gewinnen und weiter ausbauen will. Mit der Digitalisierung r?ckt der Kundennutzen in einem sehr umfassenden Sinne ins Zentrum aller gesch?ftlichen Aktivit?ten. Konsequent aus der Kundenperspektive heraus wird so das eigene Wertangebot konfiguriert und die daf?r erforderlichen Gesch?ftsprozesse designt bzw. die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen geb?ndelt. Auf diese Weise wird die Entwicklung des Unternehmens kompromisslos aus einer Outside-in-Perspektive steuerbar.

Letztlich sind all diese Elemente in ein Erl?smodell eingebettet, das die Ertragskraft des Unternehmens auf eine nachhaltige Weise sicherstellt. Diese Faktoren zusammen spiegeln in ihrer produktiven Wechselwirkung den Kern dessen, was man in der aktuellen Diskussion gerne mit dem Begriff des Gesch?ftsmodells bezeichnet.

Kommt man nun im Zuge der Entwicklung einer unternehmensspezifischen Digitalisierungsstrategie zu der Einsicht, dass das bislang erfolgreich praktizierte Gesch?ftsmodell zur G?nze beziehungsweise in wesentlichen Aspekten durch digitale L?sungen angegriffen wird, dann hilft ein Mehr-Desselben in der bisherigen Gesch?ftspolitik nicht viel weiter, um die eigene Zukunft unternehmerisch zu gewinnen. Die gewohnten inkrementellen Verbesserungen liefern daf?r keine ausreichenden Antworten. Da braucht es sehr viel weitreichendere Innovationen. Wenn sich beispielsweise der ?point of sale? mehr und mehr ins Netz verlagert, wenn die Leute sich immer weniger ?ber die gedruckte Version einer Zeitung informieren und die Werbebudgets gleichzeitig ins Netz abwandern, dann bekommen sowohl der Handel als auch die etablierten Zeitungsverlage ein existenzielles Problem. ?hnliches spielt sich gerade auch in vielen anderen Branchen ab.

Angesichts solch einschneidender Ver?nderungen ist die Entwicklung einer wohl durchdachten, f?r das jeweilige Unternehmen sorgf?ltig ma?geschneiderten Digitalisierungsstrategie immens erfolgskritisch. Eine solche Strategie benennt einerseits all jene Punkte, in denen sich das bestehende Gesch?ft weiterentwickeln muss, sie definiert aber auch die Suchrichtung, in der es grundlegendere Gesch?ftsmodellinnovationen braucht. Vielfach ist eine solch sorgf?ltig miteinander verbundene Doppelstrategie unverzichtbar, will man die Weiterentwicklung des Unternehmens in die digitale Welt hinein erfolgreich hinbekommen.

Am Ende des Tages kommt es jedoch darauf an, wie solche strategischen Festlegungen letztlich umgesetzt werden.

Daf?r braucht es eine ungew?hnliche Investitionsbereitschaft und eng damit verkn?pft eine ausgekl?gelte Change-Architektur, die auf der Seite des bestehenden Gesch?fts eine h?here Innovationskraft, mehr Agilit?t und Kundenzufriedenheit entstehen l?sst, die aber auf der anderen Seite auch ganz eigene Organisationsl?sungen schafft, in denen das ganz Neue erfunden, ausprobiert und letztlich zur Marktreife gebracht werden kann. Solche ?Innovationszentren? folgen grunds?tzlich eher einer Startup-Logik. Sie folgen einer ?lean strategy?, d.h. in einem Prozess von Versuch und Irrtum entstehen prototypische Kundenl?sungen, die in iterativen R?ckkopplungsschleifen zeitnah getestet, verworfen, neuaufgelegt und kontinuierlich verbessert werden. Dabei helfen Big Data Analytics und kluge Algorithmen, die die Treffsicherheit solcher Innovationen mit der gebotenen Geschwindigkeit erh?hen helfen.

Die digitale Revolution zwingt unsere Unternehmen, ihr Gesch?ft in aller Konsequenz vom Kundennutzen her neu zu denken.

Solche Change-Architekturen, die die Gleichzeitigkeit ganz unterschiedlicher Ver?nderungsund Innovationsprozesse und deren subtile Vernetzung zum Gegenstand haben, sind in ihrer praktischen Realisierung enorm anspruchsvoll. Sie ben?tigen eine von oben nach unten durchg?ngig abgestimmte F?hrungspraxis, die die vielen hier eingebauten Zielkonflikte und Widerspr?che kontinuierlich in eine konstruktive Bearbeitung bringt. Gerade gut gef?hrte mittelst?ndische Familienunternehmen mit ihren kurzen Entscheidungswegen, mit ihrer konsequenten Umsetzungsorientierung m?ssen eigentlich in der Lage sein, solche hochkomplexen Ver?nderungsanforderungen gut zu stemmen. Voraussetzung daf?r ist allerdings, dass an der Unternehmensspitze, im Kreis der ausschlaggebenden Schl?sselspieler der strategische Weitblick gemeinsam erarbeitet und die unbeugsame Entschlossenheit in der Realisierung des eingeschlagenen Weges im t?glichen Miteinander fest verankert ist.