Auf jeden achten, Potenziale erkennen und erfolgreich sein

Andreas Schmidt ist Personalleiter eines Systemgastronomiebetriebs in Frankfurt und f?r rund 400 Mitarbeiter verantwortlich. Das Unternehmen hat eine multikulturelle Belegschaft sowohl in der Unternehmenszentrale als auch in den Restaurants. Doch Vielfalt im Betrieb ist f?r den Personalchef mehr als die Besch?ftigung von Menschen mit verschiedenen Migrationshintergr?nden und Nationalit?ten: Es ist eine grunds?tzliche Einstellung, die hilft, Potenziale zu erkennen und zu nutzen.

Herr Schmidt, was bedeutet Vielfalt im Betrieb f?r Sie und Ihre Arbeit?

Ich finde, dass Vielfalt nicht auf wenige Schlagworte herunterzubrechen ist. Es gibt nat?rlich ein paar Themen, die oft im Fokus stehen, wie Migration, Inklusion oder Geschlecht. Ein vielfaltsbewusster Betrieb zu sein bedeutet aber mehr als die Fokussierung auf m?glicherweise benachteiligte Gruppen ? es ist vielmehr eine grunds?tzliche Einstellung. Schlie?lich geht es darum, den Menschen, mit all ihren Pers?nlichkeitsfacetten, die M?glichkeit zu geben, sich im Betrieb wohlzuf?hlen. Daf?r muss ich Arbeitsbedingungen schaffen, mit denen sich niemand in irgendeiner Form eingeschr?nkt oder ausgegrenzt f?hlt. Wer sich wohlf?hlt, ist in der Regel weniger krank, kommuniziert besser mit den Kollegen und ist insgesamt produktiver.

Sie sagten, Vielfalt sei eine grunds?tzliche Einstellung. Auf welchem Menschenbild gr?ndet Ihre eigene Mitarbeiterf?hrung? Und wie beeinflusst das Ihre Arbeit konkret?

Ich nehme einen Menschen genauso an, wie er ist. Ich versuche au?erdem, unsere Besch?ftigten als Pers?nlichkeiten mit verschiedensten Facetten wahrzunehmen. Das hei?t, Personen nicht einzig ?ber bestimmte sichtbare und unsichtbare Merkmale zu definieren und sie auch nicht allein auf ihre Rolle im Betrieb zu reduzieren. Das ist nat?rlich manchmal anstrengend, aber ich glaube, dass das zu einem guten und offenen Miteinander geh?rt. Und das hilft mir wiederum, Potenziale von Mitarbeitern besser zu erkennen und sie gezielt einzusetzen.

?Einstellung? mal anders gedacht: Versuchen Sie bei der Rekrutierung bewusst, vielf?ltige Mitarbeiter zu gewinnen?

Nein, ich ?berlege nicht im Vorfeld, welche Merkmale ich jetzt haben m?chte. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das praktikabel ist. Beim Recruiting ist erstmal wichtig, dass ein m?gliches ?Anderssein? kein Hindernis f?r die Zusammenarbeit ist. Ich versuche eher herauszufinden, was das f?r ein ?Typ? ist und ob die Person zu uns passt ? gerade bei der Rekrutierung von F?hrungskr?ften. Uns sind Soft Skills wie Empathief?higkeit und eine Offenheit f?r unterschiedliche Arbeitsund Herangehensweisen mindestens genauso wichtig wie ein H?ndchen f?r Zahlen.

Vielfalt im Betrieb. Da denken viele an das Diversity Management von Gro?konzernen. Was w?rden Sie Gesch?ftsf?hrern entgegnen, die bezweifeln, dass das Thema f?r sie relevant ist?

? dass es sich f?r jeden Personalverantwortlichen lohnt, vielfaltsbewusst zu denken und zu handeln. Man muss sich doch einfach nur mal fragen, ob diese Belegschaft wirklich so homogen ist, wie es auf den ersten Blick scheint. So kann das Thema Homosexualit?t ja durchaus relevant sein. Stellen Sie sich vor, jemand hat Angst davor, sich zu outen. Glauben Sie, dass dieser Mensch sich in seinem Arbeitsumfeld wohlf?hlt? Oder ein Mitarbeiter hat ein behindertes Kind und bekommt mit, dass der Chef hier Ressentiments ?u?ert. Wahrscheinlich f?hlt sich der Mitarbeiter dann auch ausgegrenzt, obwohl es ihn vermeintlich gar nicht selbst betrifft. Letztlich geht es doch darum, wie mit ?Anderssein? umgegangen wird.

Wenn ich also einen offenen und respektvollen Umgang mit meinen Mitarbeitern pflege ? zum Beispiel gegen?ber Menschen mit Migrationshintergrund ?, dann merkt das auch jemand, der vielleicht auf eine andere Art und Weise ?anders? ist. Die Person braucht sich dann nicht aus Angst, anders behandelt zu werden, zu verstecken. Jeder Mensch ist anders und deshalb sollte ein Betrieb ein Interesse daran haben, Arbeitsbedingungen zu schaffen, in denen jeder seine Pers?nlichkeit und sein Potenzial entfalten kann. Davon profitiert das Unternehmen dann auch wirtschaftlich. Letztendlich ist jede Belegschaft irgendwie vielf?ltig. Und deswegen ist das Thema auch f?r alle Betriebe relevant. Daf?r muss man kein gro?es Diversity-Konzept entwickeln, das passiert in Gespr?chen und im t?glichen Miteinander.

K?nnen Sie uns von Situationen erz?hlen, wo sich Ihr Verst?ndnis von vielfaltsbewusster F?hrung ausgezahlt hat?

Eine sehr positive Erfahrung war, dass wir eine geh?rlose Mitarbeiterin in ein Team integrieren konnten. Am Anfang waren wir nat?rlich unsicher, ob das klappt. Letztendlich hat sich aber gezeigt, dass unsere Bedenken ?berfl?ssig waren ? wegen der Vielf?ltigkeit der Kollegen! Die Chefin hat n?mlich Grundkenntnisse in Geb?rdensprache. Der Sohn eines anderen Kollegen ist geh?rlos. Deswegen hat er viel Erfahrung mit dem Thema. Darum war das gar nicht so schwierig, wie bef?rchtet. Wir haben also neue Kompetenzen hinzugewonnen, weil wir uns auf die Bewerberin eingelassen haben. Einer anderen Mitarbeiterin haben wir geholfen, ihr Suchtproblem in den Griff zu bekommen. Das war nat?rlich eine ganz andere Facette von ?Vielf?ltigkeit?. Aber auch hier sind wir offen mit der individuellen Situation der Kollegin umgegangen und das hat sich ausgezahlt. Das ist zugegeben auch immer ein bisschen ein Balanceakt, gerade wenn es dann in den privaten Bereich reingeht. Ich muss dann schauen, wo und wie ich helfen kann, darf mir gleichzeitig aber nicht zu viel zumuten.

Wie w?gen Sie ab?

Man muss ?berlegen, in welchem Ma?e Unterst?tzung m?glich und wann es angemessen ist. So haben bei uns ausl?ndische Mitarbeiter die Chance, f?r einen Sprachkurs in Teilzeit zu wechseln. Als Unternehmen haben wir uns dabei aber nat?rlich vorher ?berlegt, ob das f?r uns finanziell machbar ist.

L?uft man Gefahr, dass andere sich ungerecht behandelt f?hlen, wenn ich jemanden aufgrund bestimmter Eigenschaften speziell f?rdere? Es k?nnte ja argumentiert werden, dass alle gleich behandelt werden sollen.

Aus der Perspektive einer F?hrungskraft ist ein Pers?nlichkeitsmerkmal dann relevant, wenn es bei Nichtbeachtung zu Benachteiligung f?hren w?rde. Wir mussten uns zum Beispiel mal von einem Mitarbeiter trennen, weil er ein Problem damit hatte, dass seine neue Vorgesetzte eine Frau war. Zuf?llig war die Chefin auch noch homosexuell. Hier ging es aber um ihr Merkmal ?weiblich?, weswegen das dann nat?rlich thematisiert werden musste. Die Sexualit?t spielte aber ?berhaupt keine Rolle. Bei der geh?rlosen Mitarbeiterin ist mir v?llig egal, dass sie T?rkin ist. Es geht darum, dass wir auf ihre besonderen Bed?rfnisse in der Kommunikation R?cksicht nehmen, damit sie ihre Arbeit gut machen kann. An dieser Philosophie kann man sich eigentlich ganz gut orientieren.

Welche Tipps k?nnen Sie anderen F?hrungskr?ften mit auf den Weg geben, wie sie im eigenen Betrieb vielfaltsbewusst f?hren k?nnen?

In einem ersten Schritt kann es helfen, sich erstmal ?ber sich selbst Gedanken zu machen. Was macht mich eigentlich aus? Dann ?berlege ich mir, mit welchen Leuten arbeite ich tagt?glich zusammen? Was unterscheidet uns und welche Bed?rfnisse hat die andere Person, die sich von meinen unterscheiden? Aus dieser Selbstreflexion entstehen h?ufig Fragen, die ich meinen Mitarbeitern zum Beispiel im Personalgespr?ch stellen kann. Da man in der Gastronomiebranche jetzt auch nicht unbedingt reich wird, m?ssen wir uns umso mehr Gedanken machen, was wir tun k?nnen, dass es den Mitarbeitern gut geht. Damit diese Philosophie nicht nur von mir, sondern auch von den anderen F?hrungskr?ften gelebt wird, muss man diese nat?rlich auch regelm??ig sensibilisieren. Und so bl?st man das Thema gar nicht so gro? auf, sondern f?ngt eigentlich immer im Kleinen an.

Herr Schmidt, vielen Dank f?r das sehr interessante Gespr?ch.

Take Away:

  • Erfolg verantworten bedeutet auch, daf?r zu sorgen, dass sich die Besch?ftigten im Unternehmen/Team wohlf?hlen (Indikatoren: niedrigerer Krankenstand, Produktivit?tssteigerung, bessere Kommunikation).
  • Um Mitarbeiter und Teams zielgerichtet entwickeln zu k?nnen, m?ssen Menschen mit all ihren Pers?nlichkeitsfacetten wahrgenommen werden. Nur so kann auf ihre individuellen Bed?rfnisse eingegangen und k?nnen dadurch die vielf?ltigen Blickwinkel und F?higkeiten genutzt werden.
  • Eine F?hrungskraft ist in der Rolle und Verantwortung, als Vorbild zu agieren. Ihr Verhalten beeinflusst ma?geblich das Miteinander im Unternehmen.