Warum wir unser Bauchgef?hl ?fter hinterfragen sollten

In Kooperation mit Prof. Dr. Stefan Diestel, Studiengangsleiter M.Sc. Organizational Psychology & Human Resources Management an der International School of Management (ISM)

Wer kennt dieses Gef?hl nicht? Diese leichte Verunsicherung, wenn wir mit Menschen zu tun haben, die in irgendeiner Art und Weise anders sind als wir selbst? Schnell werden dann die ber?hmten Schubladen aufgezogen und uns fallen alle m?glichen Stereotype und Vorurteile ein. Gerade im Berufsalltag kann das zur Stolperfalle werden ? zum Beispiel bei der Personalauswahl oder der Mitarbeiterf?hrung. In diesem Artikel erfahren Sie, wie Sie Ihr eigenes Denken besser verstehen k?nnen und warum das Bauchgef?hl nicht immer der verl?sslichste Ratgeber ist.

Unser Gehirn meint es eigentlich nur gut mit uns. Damit wir nicht jede Information neu erfassen und verarbeiten m?ssen, legt es Schablonen oder Schubladen an, die unser Denken vereinfachen und beschleunigen. Erkennen wir zum Beispiel einen bestimmten Gegenstand, dann wird automatisch abgeglichen, ob wir bereits irgendetwas dar?ber wissen. Haben wir schon mal schlechte Erfahrungen damit gemacht? Falls ja, stellt sich schnell ein ungutes Gef?hl ein, da uns m?glicherweise erneut Gefahr drohen k?nnte. Dieser nat?rliche Reflex hilft jedem, sich in einer komplexen Umwelt zu orientieren und Halt zu finden.

Was Menschen seit vielen Jahrtausenden beim ?berleben hilft, f?hrt im sozialen Miteinander einer diverser werdenden Gesellschaft allerdings auch immer wieder zu Konflikten und Missverst?ndnissen. Denn wenn wir anderen Menschen begegnen, greifen wir regelm??ig auf solche angelegten Wissensstrukturen zur?ck. Das Gehirn interpretiert sofort, ob wir mit einer ?hnlichen Person schon einmal Erfahrungen gemacht haben, und leitet daraus eine Erwartungshaltung hinsichtlich des Verhaltens ab. Solche gedanklichen Abk?rzungen in Bezug auf andere Menschen werden ?Stereotype? genannt.

Stereotype: Gedankliche Abk?rzungen

Das Denken in Stereotypen ist ein ganz nat?rlicher Vorgang, der automatisch abl?uft und der sich auch nicht einfach unterbrechen l?sst. Damit wir aber nicht Gefahr laufen, durch diese gedankliche Hilfestellung Pauschalurteile zu f?llen und unseren Horizont einzuschr?nken, ist es wichtig, reflektiert und selbstkritisch damit umzugehen. So gilt es, sich zu ?berlegen, wo uns unser Schablonendenken zwar m?glicherweise zu einem schnellen Urteil f?hrt, uns aber im Entscheidungsspielraum unvorteilhaft einschr?nkt. Von solchen Erkenntnissen k?nnten F?hrungskr?fte zum Beispiel bei der Personalrekrutierung profitieren. M?glicherweise lohnt es sich ja sogar, das ber?hmt (-ber?chtigt)e Bauchgef?hl zu hinterfragen. Warum habe ich bei einem Bewerber eigentlich (k)ein gutes Gef?hl? Woran kn?pfe ich meine Erwartungshaltung ?berhaupt? Suche ich mich vielleicht einfach nur selber? Aus der Psychologie wissen wir, dass letzteres gar nicht so unwahrscheinlich ist.

Wenn aus Stereotypen pl?tzlich Vorurteile werden

Menschen organisieren sich seit jeher in Gruppen, die f?r ihre Mitglieder identit?tsstiftend sind. Eine Gruppe, zu der wir uns zugeh?rig f?hlen, verleiht uns einen gewissen Schutz. Wir versuchen deshalb, uns nach den Regeln und Normen dieser Gruppe zu verhalten und grenzen uns damit gegen?ber anderen Gruppen ab. Wor?ber sich eine soziale Gruppe definiert, kann sehr unterschiedlich sein: nationalstaatliche Zugeh?- rigkeit, kultureller oder ethnischer Hintergrund, gleiche sexuelle Orientierung, Parteizugeh?rigkeit, soziale Lage, aber auch Sympathien f?r eine bestimmte Musikrichtung oder einen Fu?ballverein sowie ein extravaganter Kleidungsstil.

Bei der Begegnung mit einer anderen Person ?berlegt man je nach Kontext, zu welcher sozialen Gruppe diese geh?rt und was das m?glicherweise f?r den sozialen Kontakt bedeuten k?nnte. Nimmt man beispielsweise wahr, dass jemand anders aussieht als man selbst und die Menschen aus dem eigenen gewohnten Umfeld, dann ist eine Interpretationsm?glichkeit, dass die Person m?glicherweise aus einem anderen Land migriert ist. In dem Moment, in dem dieser Gedanke gefasst wird, ?berlegt unser Gehirn bereits, welches Land in Frage kommen k?nnte. Als N?chstes suchen wir alles zusammen, was wir ?ber Menschen aus der vermuteten Region wissen (oder meinen, schon mal dar?ber geh?rt zu haben), wie Sprache, Kultur oder Gepflogenheiten. Leider sind in diesen Situationen h?ufig als erstes negative Assoziationen pr?sent, denn grunds?tzlich tendieren wir dazu, andere soziale Gruppen erst einmal abzuwerten ? vor allem, wenn wir wenig eigene Erfahrungen mit Mitgliedern aus dieser Gruppe gemacht haben. Denn auf Unsicherheit reagiert unser Hirn wie eingangs beschrieben automatisch mit Skepsis und Vorsicht. F?hrt dieses Unwohlsein zu Pauschalisierungen wie einer grunds?tzlich ablehnenden Haltung gegen?ber allen Mitgliedern dieser sozialen Gruppe, dann sind aus urspr?nglich neutralen Stereotypen pl?tzlich Vorurteile geworden. Und diese k?nnen schnell zum Risikofaktor werden ? auch im betrieblichen Alltag.

Warum sich Vorurteile negativ auf die Personalf?hrung auswirken:

  • Es wird nicht nach der objektiv besten L?sung gesucht, sondern nach der vermeintlich angenehmsten. Man verschlie?t sich neuen Impulsen, indem Neues abgelehnt wird. Das schr?nkt Kreativit?t und Innovationsf?higkeit ein.
  • Vorurteile verhindern eine ganzheitliche Beurteilung der Leistungsf?higkeit von Besch?ftigten, Bewerbern und Kunden. Dadurch werden wertvolle Potenziale verschenkt.
  • F?hrungskr?fte sind Vorbilder. Stigmatisierungen f?hren zu Unzufriedenheit und verschlechtern die Arbeitsleistung (siehe auch rkw.link/stereotype).

Wie kann ich verhindern, mich von Vorurteilen beeinflussen zu lassen?

Trauen Sie sich, an Ihrem Mindset zu arbeiten, also an Ihrer grundlegenden Einstellung gegen?ber sich selbst und den Menschen im eigenen Umfeld. Das passiert nicht von heute auf morgen und erfordert ein gewisses Training ? ist aber auch kein Ding der Unm?glichkeit. Folgende Tipps k?nnen Sie dabei unterst?tzen:

  • Suchen Sie bewusst Kontakt zu Menschen, die anders sind als Sie selbst.
  • Lernen Sie, dabei auftretende Unsicherheiten auszuhalten (Ambiguit?tstoleranz).
  • Hinterfragen Sie (zum Beispiel vor Personalentscheidungen) Ihr Bauchgef?hl.
  • Profitieren Sie von der Perspektivenvielfalt und holen Sie sich die Einsch?tzungen von anderen ein.
  • ?ben Sie den Perspektivenwechsel und versuchen Sie sich in Ihr Gegen?ber hineinzuversetzen. Was treibt denjenigen an? Was gef?llt mir an der Person (nicht)? Warum?

Nat?rlich ist das etwas m?hsamer, als einfach den gedanklichen Abk?rzungen zu folgen. Aber es lohnt sich, offen und voreingenommen auf andere zuzugehen und mit ihnen ins Gespr?ch/ins Gesch?ft zu kommen. Der Gewinn ist auf jeden Fall, dass Sie auf die Bed?rfnisse vielf?ltiger Kunden, Gesch?ftspartner, Besch?ftigter oder Bewerber besser eingehen k?nnen. Es lohnt sich also, die gedankliche Extrameile noch zu gehen.