Industrie und Handwerk im Wettbewerb um Fachkr?fte: Wie "die Kleinen" gegen?ber "den Gro?en" punkten k?nnen

Industrie und Handwerk im Wettbewerb um Fachkr?fte: Wie ?die Kleinen? gegen?ber ?den Gro?en? punkten k?nnen

Der Begriff des "Abwerbens" ist gel?ufig. Er wird gebraucht, wenn ein Unternehmen Fachkr?fte eines anderen, meist konkurrierenden Unternehmens zur K?ndigung verleitet, um sie dann im eigenen Betrieb in gleicher oder ?hnlicher Funktion zu besch?ftigen ? oft als Anreiz in einer h?heren Position.

In diesem Beispiel aus der Unternehmenspraxis geht es um frisch ausgelernte Mitarbeiter, die nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung ?berlegen, ob sie in ihrem Ausbildungsbetrieb bleiben, in einen anderen Betrieb oder sogar in eine andere Branche wechseln. Dies kann unterschiedliche Gr?nde haben und muss nicht zwangsl?ufig an einer Unzufriedenheit im bisherigen Unternehmen liegen. Oftmals ist auch eine ge?nderte Interessenlage oder Neugier auf etwas Neues die Motivation.

Wie viele Branchen und Wirtschaftszweige hat auch das Handwerk das Problem, aus den eigenen Reihen ? sprich durch eigene Ausbildung und sei sie sogar ?ber Bedarf ? nicht alle offenen Stellen ausreichend gut und schnell besetzen zu k?nnen. Der Vorlauf betr?gt in der Regel dreieinhalb Jahre. Das ist die regul?re Ausbildungszeit im Handwerk.

Muss also schnell eine Stelle besetzt werden, kann man nur auf bereits in anderen Betrieben ausgebildete Leute zur?ckgreifen. Dies geschieht praktischerweise innerhalb der gleichen Berufsgruppe, des gleichen Gewerks oder zumindest der gleichen Branche. In vielen F?llen ist die Anzahl der zur Verf?gung stehenden Bewerber aber nicht gro? genug. Also was tun?

Das konkrete Beispiel ergab sich im Falle der KEMMER & HEIN OHG, eines Betriebs f?r Fahrzeugrestaurierung mit zw?lf Besch?ftigten in Speyer. Trotz eigener Ausbildung ?ber Bedarf, k?nnen hier nicht alle offenen Stellen zeitnah besetzt werden.

Dies h?ngt auch mit den speziellen Anforderungen in einer Oldtimer-Werkstatt zusammen. Da es f?r diesen Bereich kein eigenst?ndiges Berufsbild gibt, muss das Unternehmen auf Kfz-Mechatroniker zur?ckgreifen, die im Rahmen ihrer Ausbildung ausschlie?lich an modernen Fahrzeugen arbeiten und deshalb bis zu zwei Jahre eingearbeitet werden m?ssen.

Da also hier auf dem Bewerbermarkt nicht mehr gen?gend Kandidaten zur Verf?gung standen, wurden auch interessierte Menschen aus anderen Branchen ? quasi als Quereinsteiger ? angesprochen: durch eine offene Stellenanzeige ohne konkrete Vorgabe zum abgeschlossenen Beruf, lediglich mit der Vorgabe, an klassischen Fahrzeugen arbeiten zu wollen. Das freudige Ergebnis: Ein junger Industriemechaniker wurde eingestellt.

Dabei war das Hauptproblem die Entlohnung. Das wird von Handwerksunternehmen auch typischerweise als Grund angef?hrt, warum Quereinsteiger aus der Industrie nicht ins Handwerk kommen, aber umgekehrt viele ausgebildete Fachkr?fte aus dem Handwerk in die Industrie "entschwinden".

Im vorliegenden Fall waren dem Kandidaten rund 3.000 Euro brutto im ersten Gesellenjahr in Aussicht gestellt worden. Da konnte KEMMER & HEIN nicht mithalten. Die tariflichen L?hne f?r Einsteiger im Kfz-Gewerbe liegen weit darunter.

Im n?heren Gespr?ch ergab sich aber schnell ein differenzierteres Bild. Der angegebene Lohn im Industriebetrieb bezog sich auf folgende Eckdaten:

  • Befristeter Arbeitsvertrag f?r sechs Monate, danach Werksferien und die Chance auf einen Folgevertrag mit wieder sechs Monaten Befristung.
  • In der Zwischenzeit sollte sich der Mitarbeiter "arbeitslos" melden.
  • Die T?tigkeit sollte im Drei-Schicht-Betrieb stattfinden.
  • Die gesamte Entlohnung basierte auf einer Berechnung inklusive aller m?glichen Zuschl?ge (z. B. eine Schmutzzulage), die nicht immer zum Tragen kommen, aber einen Gro?teil der Bruttoverg?tung ausgemacht h?tten.
  • Nach einer mehrfachen Befristung des Arbeitsvertrags wird eine weitere Festanstellung im Unternehmen sp?ter m?glicherweise erschwert, da unbefristete Neuvertr?ge dort i. d. R. nicht zur Personalpolitik geh?ren.

Hingegen waren in der Oldtimer-Werkstatt folgende Bedingungen realisierbar:

  • Unbefristeter Arbeitsvertrag mit sechs Monaten Probezeit
  • Entlohnung auf Basis des geltenden Tarifvertrags
  • M?glichkeit, die Kfz-Meisterschule im Abendkurs zu besuchen (weil Industriemechaniker die Voraussetzungen daf?r erf?llen)
  • Volle Kosten?bernahme der Vorbereitungskurse und Pr?fgeb?hren durch das Unternehmen
  • Aussicht auf h?here Eingruppierung mit abgeschlossenem Meisterbrief in ein bis zwei Jahren
  • Geregelte Arbeitszeiten (an Tagen mit Abendkurs flexibel fr?her Feierabend, der an Folgetagen unb?rokratisch ausgeglichen wird)
  • Schnellere Einarbeitung, da die Praxis in der Werkstatt sehr gut mit den fahrzeugspezifischen Inhalten der begleitenden Meisterschule harmoniert
  • T?tigkeit im "Traumberuf".

Diese L?sung bietet eine Win-win-Situation f?r alle Beteiligten und sie zeigt: Auch kleine Handwerksbetriebe k?nnen gegen die vordergr?ndig konkurrenzlos hohe Entlohnung in der Industrie gegenhalten ? mit besonderen Angeboten, hoher Flexibilit?t im Umgang mit den Besch?ftigten, nichtmonet?ren Leistungsanreizen, kurz: durch das Einbringen aller Vorteile, die kleinere Unternehmen nun mal haben. Man muss sie "nur" erkennen und nutzen.