Wirtschafts- und Unternehmensethik in der ?konomischen und politischen Bildung

Wirtschafts- und Unternehmensethik in der ?konomischen und politischen Bildung - Ein fachdidaktisches Projekt zur Entwicklung exemplarischer Curriculumbausteine

Fairness und Gerechtigkeit, aber auch "Lug und Trug"

Ist Versicherungsbetrug tats?chlich ein Volkssport ohne Nebenwirkungen? Welche ethischen Normen und Werte sollten von der Werbung beachtet werden, wie viel Freiheit kann sie f?r sich reklamieren? Wer gew?hrleistet in der Marktwirtschaft den fairen Wettbewerb? Ist ethisches Investment gut f?rs Gewissen, aber schlecht f?r die Rendite? Sind Plagiate eine moderne Form von Piraterie oder die Triebfeder wirtschaftlicher Entwicklung? Sorgen Ombudsmann-Verfahren f?r Waffengleichheit zwischen Unternehmen und Kunde? Sind Whistleblower gemeine Verr?ter oder moralische Helden? Gibt es im harten globalen Wettbewerb der Unternehmen ?berhaupt gen?gend Raum f?r die Ethik? Wo ist in einer Marktwirtschaft der richtige Platz f?r verantwortliches Handeln?

Aktuelle Fragen der Wirtschaftsethik treffen die Interessen junger Menschen. Im Jahre 1996 legte eine Gruppe um den St. Gallener Wirtschaftsethiker Peter Ulrich 24 Unterrichtsmodule zu diesem Themenkreis vor, die damals viel beachtet wurden, jedoch inzwischen vergriffen und daher heute schwer zug?nglich sowie von der zwischenzeitlichen Entwicklung in Wirtschaft und Unternehmen l?ngst ?berholt sind. Ziel des ethos-Projekts ist daher die Entwicklung aktueller und innovativer Unterrichtseinheiten zur Wirtschaftsund Unternehmensethik, die sich m?glichst nahtlos in die ?konomische und politische Bildung in der Sekundarstufe II einpassen. Die Entwicklung und Erprobung der Module wird gro?z?gig gef?rdert durch die Hamburger Stiftung f?r Wirtschaftsethik (www.wertevolle-zukunft.de) sowie durch die Deutsche Stiftung f?r Warenlehre in T?bingen.

Jeder ethos-Baustein skizziert ein in sich abgeschlossenes Unterrichtsvorhaben f?r die ?konomische und politische Bildung in der Sekundarstufe II, und zwar sowohl in der gymnasialen Oberstufe wie in der beruflichen Bildung. M?glich ist auch der Einsatz im Rahmen der kaufm?nnischen und politischen Erwachsenenbildung.

Ziele des Projekts

Anspruchsvolles Bildungsziel ist eine verbesserte moralische Urteils- und Handlungskompetenz im Bereich der Wirtschaft. Eine gesellschaftliche Urteilskraft zeichnet sich unter anderem durch die F?higkeit aus, unterscheiden zu k?nnen: Wo, in welchem gesellschaftlichen Teilsystem und Zusammenhang befinde ich mich gerade? Ein zentrales, in jedem Modul wiederkehrendes Instrument ist die Topologie "Orte der Moral" in der Marktwirtschaft. Abbildung 4 gibt ein immer wiederkehrendes Strukturierungsschema f?r wirtschaftsethisches Denken. Die Besonderheit des Falles (Kasuistik) kann in eine allgemeine Struktur begrifflich eingeordnet werden. Sie wurde in der Urfassung von Peter Ulrich entwickelt und von Thomas Retzmann erg?nzt.

In Seminaren mit Lehramtsstudierenden hat sich diese Strukturierung der Orte der Moral in der Marktwirtschaft als ein au?erordentlich n?tzliches Strukturierungsinstrument bew?hrt. Allerdings muss es flexibel gehandhabt und auf das jeweilige Problemfeld angepasst werden. Dies geschieht in den ethos-Bausteinen.

Themen der Projekt-Bausteine

Die Bausteine greifen aktuelle Problemstellungen, Fallkonstellationen und Handlungssituationen auf:

  1. Cold Calling ? Bel?stigung durch unerw?nschte Telefonwerbung.
  2. Soziale Dilemmata ? Wenn Eigennutz im Widerspruch zum Gemeinwohl steht!
  3. Ethisches Investment ? Mein Geld f?r die nachhaltige Entwicklung?
  4. Der Markt f?r illegale Drogen ? Drogen als Ware und der Staat als Drogenh?ndler?
  5. Produkt- und Markenpiraterie ? Fluch der Marktwirtschaft?
  6. Versicherungsbetrug ? Volkssport ohne Nebenwirkungen?
  7. Der Deutsche Werberat ? eine Erfolgsstory f?r die Ethik in der Werbung?
  8. Whistleblowing ? Verrat oder verantwortliches Handeln?
  9. Ombudsmann-Verfahren ? Waffengleichheit zwischen Unternehmen und Kunden?
  10. CSR ? Corporate Social Responsibility: Wie gew?hrleisten Hersteller Sozialund Umweltstandards bei Zulieferern?
  11. Anbieter im CSR-Test: Unternehmenspolitik und -verhalten auf dem ethischen Pr?fstand.
  12. Patente f?r lebenswichtige Medikamente ? Lebensretter oder Todesurteil f?r Erkrankte?
  13. Compliance Management ? Was k?nnen Unternehmen tun, damit sich die MitarbeiterInnen an die Gesetze und Regeln halten?
  14. Anti-Corporate Campaigns ? Wei?e Westen f?r Konsumenten und B?rger?
  15. Sozial-?kologische Produktsiegel: Verbrauchert?uschung oder vertrauensw?rdige Information?

Alle Bausteine k?nnen kostenlos von der Seite www. ethos-wirtschaft.de heruntergeladen werden. LehrerInnen, die Interesse haben, einen ethos-Baustein in ihrer Schule zu erproben und dar?ber zu berichten, nehmen bitte Kontakt zu den Herausgebern auf.

Aufbau und Inhalt der Bausteine

Die Bausteine sind einheitlich aufgebaut: Nach einem informativen ?berblick ?ber den Inhalt und einer Einstimmung in die Thematik folgt eine problemorientierte Sachanalyse mit den wichtigsten fachwissenschaftlichen Grundlagen. Die anschlie?ende fachdidaktische Analyse erl?utert die Unterrichtsplanung und stellt den vorgesehenen Unterrichtsverlauf dar. Der Schwerpunkt der Bausteine liegt auf gut strukturierten und einsatzfertigen Unterrichtsmaterialien.

Praxisbezug wird bei allen Bausteinen gro? geschrieben. Sch?lerInnenaktivierende Methoden wie die Praxiserkundung oder Rollen- und Planspiele erm?glichen eine handlungsorientierte Problembearbeitung.

Bilanz und Perspektiven des ethos-Projekts

In der Entwicklungsarbeit hat sich gezeigt, dass die Kasuistik (Fallarbeit) in der Wirtschaftsp?dagogik zwar seit Jahrzehnten als K?nigsmethode gefordert wird, aber offenbar wenig ge?bt ist. Es gibt auch kaum Anleitungen f?r Fachlehrkr?fte zur Entwicklung einer daf?r erforderlichen narrativen Kompetenz: Wie kann ein Fall m?ndlich spannungsvoll und facettenreich pr?sentiert werden? Wie muss die schriftliche oder mediale Pr?sentation eines Falles ausgestaltet sein, um weder zu ?bernoch zu unterfordern? Wie l?sst sich methodisch mit F?llen arbeiten, damit sie mehr als ein ?Aufh?nger? zur (vermeintlichen) Motivation zu Beginn einer Unterrichtseinheit sind?

Der Einsatz der Module wirft immer wieder interessante Fragen einer p?dagogischen Ethik auf. Ist es beispielsweise zul?ssig, vom Deutschen Werberat indizierte "Schockwerbung" im Unterricht zu zeigen?

Eine n?chste curriculare Entwicklungsaufgabe ist die Reduktion der Komplexit?t, um das Themengebiet der Wirtschaftsund Unternehmensethik f?r einen Einsatz in der Sekundarstufe I zug?nglich zu machen.

K?nftig m?chten wir auch die interkulturelle Dimension wirtschaftsethischer Fragestellungen erschlie?en. Gibt es unterschiedliche Wirtschaftsstile? Diese Frage wird in einer globalen Wirtschaft zunehmend wichtiger, wie die vielen interkulturellen Management-Ratgeber zeigen. Eine versuchsweise Adaption in englischer Sprache von ein oder zwei Modulen ist geplant. Dadurch wird eine interkulturelle Erprobung m?glich, zum Beispiel ?ber ein E-Mail-Austauschprojekt zwischen Schulklassen. Beispielswiese w?re es sehr interessant, mit Studierenden oder einer Partnerschule in China ?ber Produkt- und Markenpiraterie zu diskutieren. Diese Bausteine k?nnten auch im bilingualen Sachfachunterricht eingesetzt werden.

Moral predigen ist leicht, Moral begr?nden schwer!"

? Arthur Schopenhauer ? 

Es ist eine immer wiederkehrende Erfahrung, dass wesentliche Teile der ?konomischen Bildung ? im Interesse der Sch?lerInnen ? zun?chst gut daran tun, unpolitisch zu bleiben. In allen Modulen dr?ngt sich die Frage nach der Gestaltung einer Rahmenordnung und von Regeln f?r eine gute Wirtschaft fr?her oder sp?ter quasi "von selbst" auf. Es gilt, das nicht-hierarchische Verh?ltnis der gesellschaftlichen Teilbereiche zu beachten. ?konomische Bildung ist auch dann ein Beitrag zur politischen Bildung, wenn sie nicht politisiert. Zumindest kann sie deren fachliches Fundament sein, damit die darauf aufsetzende politische Bildung besser gelingt. Angesichts der aktuellen Auseinandersetzung um ein eigenes Fach: Es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie jungen Menschen, seien es Sch?lerInnen, seien es Studierende, ?ber wirtschaftsethische Fragen zu einer vertieften "Politisierung" gelangen.