Hintergrundwissen

Die Blue-Ocean-Strategie

Die Blue-Ocean-Strategie besch?ftigt sich mit disruptiven Verbesserungen von Produkten bzw. Produktideen. Disruption (= zerst?ren, unterbrechen) beschreibt einen Prozess, bei dem ein bestehendes Gesch?ftsmodell oder ein Markt von Innovationen abgel?st bzw. verdr?ngt wird. Die Blue-Ocean-Strategie unterteilt M?rkte in sogenannte Red Oceans und Blue Oceans. Blue Oceans umfassen zuk?nftige, noch zu schaffende Marktr?ume, in denen Wettbewerb eine Zeit lang wenig Relevanz hat. Der Fokus von Unternehmen liegt auf dem Aufbau von Nutzeninnovationen f?r die Kundschaft in neuen Marktr?umen. Dadurch erreichen Blue-Ocean-Produkte eine Differenzierung (Alleinstellungsmerkmale); sie sind zun?chst wettbewerbsarm und erlauben h?here Gewinne (vgl. Kim/ Mauborgne 2015). Red Oceans umfassen hingegen die Gesamtheit des bereits bestehenden Wettbewerbs. Es gilt die existierende Nachfrage zu nutzen und zu steigern, um sich im bestehenden Wettbewerb zu behaupten.

Da sich die Blue-Ocean-Strategie auf zuk?nftige noch zu schaffende Marktr?ume bezieht, werden Entscheidungen unter Ungewissheit getroffen. Unternehmer*innen sind angehalten, mit ungewissen und unvorhersehbaren Situationen zurechtzukommen. Die Entscheidungslogik der Blue-Ocean-Strategie vernachl?ssigt das Element des Planbaren (im Gegensatz zur Red-Ocean-Strategie) und setzt auf das pragmatisch Machbare. Das wissenschaftliche Interesse im Umgang mit Ungewissheit hat sich auch in der Gr?ndungserziehung etabliert und ist unter dem psychologischen Konstrukt der Ambiguit?tstoleranz bekannt (vgl. Mittelst?dt 2017).

Ambiguit?tstoleranz ? der Umgang mit Ungewissheit

Ambiguit?tstoleranz (Ungewissheitstoleranz) bedeutet, dass Personen mit widerspr?chlichen, unstrukturierten, offenen und mehrdeutigen Situationen umgehen k?nnen. Sie bef?higt Menschen im Allgemeinen mit der Unvorhersehbarkeit des Lebens zurechtzukommen. Ambiguit?tstolerante Personen k?nnen mit komplexen, mehrdeutigen, intransparenten Aufgaben, die sich nicht mit bew?hrten Handlungsstrategien l?sen lassen, besser umgehen, als Menschen mit schwacher Ambiguit?tstoleranz. Gr?nder*innen weisen zumeist ein h?heres Ma? an Ambiguit?tstoleranz auf als andere Gruppen (Bijedic 2013, 229). Aus diesem Grund z?hlt der Umgang mit Ungewissheit zu den entscheidenden Kompetenzen von Unternehmer*innen. Mit Hilfe von experimentellem Lernen, wie z.B. der Marshmallow-Challenge kann die Ambiguit?tstoleranz von Sch?ler*innen gest?rkt werden.

Die Marshmallow-Challenge

Die Marshmallow-Challenge (auch bekannt als Spaghettiturm-Bau) ist eine unterhaltsame und motivierende ?bung, die die Lernenden zum Experimentieren anregt. Teams (3-5 Personen) bekommen 1 Meter Bindfaden, 1 Meter Klebeband, 1 Marshmallow, 20 Spaghetti und eine Schere. Aus diesen Bestandteilen bauen sie in 18 Minuten einen m?glichst hohen und freistehenden Turm. Das Team mit dem h?chsten Marshmallow ?ber der Tischkante gewinnt. Dabei soll das Vorgehen der Teams bei der Planung und Umsetzung eingesch?tzt, beurteilt und reflektiert werden (vgl. Uebernickel et al. 2015, 194). Wujec (2010) untersuchte die Erfolgsrate bei unterschiedlichen Teams. Die h?chsten T?rme mit 75 cm Durchschnittsh?he werden von Kindergartenkindern gebaut. Topmanager*innen bauen im Durchschnitt 60 cm hohe T?rme. Die schlechtesten T?rme mit einer Durchschnittsh?he von 25 cm werden von Wirtschaftsstudierenden gebaut. Wujec begr?ndet die unterschiedlichen Erfolgsquoten mit unterschiedlichen Herangehensweisen. W?hrend die Kinder nicht diskutieren, sondern sofort los bauen, Baustrategien direkt ausprobierten, nachbessern und zerbrochene Spagetti erneut einsetzen, erreichen sie am Ende stabile und hohe T?rme. Die Wirtschaftsstudent*innen dagegen diskutieren zuerst Baupl?ne und suchen nach ?perfekten L?sungen?. Dadurch verlieren sie Zeit. Wenn sie am Ende der 18 Minuten das Marshmallow auf die Spitze setzen, bricht der Turm zusammen, es bleibt keine Zeit f?r einen erneuten Versuch. Die Strategie der Kinder wird auch als ?Rapid Prototyping? (schneller Modellbau) bezeichnet.

Mit dem Prototyping Annahmen testen

Das Herstellen von Prototypen hat sich im Rahmen von Design Thinking (vgl. Mittelst?dt/ Wiepcke 2018) etabliert. Durch das Herstellen von Prototypen bei der Gesch?ftsideeentwicklung werden neue Konzepte nicht lange und theoretisch diskutiert, sondern in Form von Prototypen gebaut und z?gig in der Realit?t ausprobiert. Die gedanklich entwickelte Vorstellung der Idee wird in ein Modell ?berf?hrt, das angesehen, angefasst und kommuniziert werden kann (vgl. Freudenthaler-Mayrhofer/ Sposato 2017, 209). Ziel der Prototypen ist es, diese in der Praxis zu testen. Die Zielgruppe gibt dabei R?ckmeldungen in Bezug auf die St?rken und Schw?chen, so dass neue Erkenntnisse gewonnen werden k?nnen. Getroffene Annahmen k?nnen so im Wochenoder Monatstakt in Form einer neuen Version am Markt best?tigt oder verworfen werden.

Wie man durch Experimentieren lernt, mit Ungewissheit umzugehen

Die Experimente zur Marshmallow-Challenge mit Kindern und BWL-Studierenden zeigen, dass Kinder beim Bau des Spagetti-Turms nicht planerisch vorgehen und dadurch die h?chsten und kreativsten T?rme bauen. Sie stellen sich der ungewissen Situation indem sie sofort losbauen (einen ersten Prototypen erstellen), ausprobieren (Annahmen testen) und nachbessern (den Prototypen schrittweise anpassen). Die Kinder nutzen somit das Rapid Prototyping, das wichtig f?r die Umsetzung einer Blue-Ocean-Strategie ist. Durch das Experimentieren kann auf die Pers?nlichkeitsund Kompetenzentwicklung der Lernenden Einfluss genommen werden. Das entdeckende und handlungsorientierte Lernen erlaubt es, dass sie sowohl ?konomische Entscheidungsverfahren anwenden, als auch deren Grenzen erfahren. Die Marshmallow-Challenge setzt voraus, dass die Lernenden die F?higkeit entwickeln, die gestellten Anforderungen zu erkennen und neue M?glichkeiten der Herangehensweise nutzen. Dadurch werden sie bef?higt, erlernte ?konomische Strukturen auf andere ?konomische Situationen, wie z.B. unternehmerische Strategien anzuwenden (vgl. Schl?sser/ Schuhen 2011, 60).