Im Jahr 2017 haben wir im RKW-Magazin bereits einen Artikel unter einem nahezu identischen Titel ver?ffentlicht. Damals haben wir M?glichkeiten er?rtert, die Unternehmen angesichts aktueller Disruptionen vor einer Krisen- oder Turnaround-Situation bewahren k?nnen. Heute hat die COVID-19-Krise in nur wenigen Wochen dazu gef?hrt, dass die meisten Unternehmen bereits in eine Krise geraten sind. Damit stehen die verantwortlichen F?hrungskr?fte nun vor der anspruchsvollen Frage, wie sie ihre Gesch?fte jetzt wirksam managen k?nnen.
Was vor einigen Wochen vielleicht noch als Science-Fiction-Szenario aus Hollywood wahrgenommen worden w?re, ist quasi ?ber Nacht durch die unmittelbaren Auswirkungen und die zu erwartenden rezessiven Folgen der COVID-19-Krise brutaler Managementalltag geworden. ?hnlich wie im Fr?hstadium der letzten globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 sind Dauer und Tiefe dieser Krise nicht absehbar. Sie wird auf jeden Fall einschneidend sein. Aufgrund der globalen Verflechtung der M?rkte und Zulieferketten sowie der zu erwartenden Konsum- und Investitionszur?ckhaltung ist davon auszugehen, dass die Erholung in verschiedenen M?rkten und Branchen asymmetrisch verlaufen und auch die Folgejahre beeinflussen wird. Allerdings wurden als Reaktion auf die Krise gerade in Deutschland in k?rzester Zeit Instrumente und Hilfspakete in bislang unvorstellbarem Umfang zur Verf?gung gestellt. Diese Hilfen, beispielsweise durch KfW-Kredite oder B?rgschaften, werden fortw?hrend erweitert und ? noch wichtiger ? der Zugang f?r Unternehmen wird weiter vereinfacht.
Handlungsrahmen und -schwerpunkte im Krisenmodus
Worauf kommt es also jetzt an? Was ist zu tun und was ist zu lassen? Entscheidend wird sein, wie die verantwortlichen F?hrungskr?fte in einen ganzheitlichen Krisen- und Turnaround-Modus umschalten. Dazu geh?rt im Kern, wie wirksam sie die kurz- und mittelfristigen Liquidit?tsbedarfe absichern. Zur Orientierung und als Navigationshilfe hat sich aus unseren (aktuellen) Erfahrungen im Krisen- und Turnaround-Management ein ganzheitlicher Handlungsansatz als praktikabel herausgestellt (siehe Abbildung).
Eine zentrale Ma?nahme besteht darin, eine ?Krisen-Taskforce? einzurichten, um die Handlungsf?higkeit zu gew?hrleisten und den ?berlebenskampf durch ein integriertes Krisen-/Turnaround-Management wirksam zu steuern. Wir haben sie "Corona-Taskforce" genannt. Sie besteht sinnvollerweise aus den wichtigsten Mitgliedern des F?hrungskreises, die t?glich zusammenkommen, um Informationen gemeinsam zu interpretieren, zu bewerten, Ma?nahmen abzuleiten, umzusetzen und anzupassen. Auf diese Weise wird das Krisenmanagement idealerweise gest?tzt durch sinnvolle Fr?herkennungsradare und durch Kennzahlencockpits ?vergemeinschaftet?, was der Geschwindigkeit und der Entscheidungsqualit?t zugutekommt. Ein Management-Team ist im Vergleich zu Einzelpersonen besser bef?higt, Folgen und Nebenwirkungen abzusch?tzen und robustere Entscheidungen zu treffen.

Diese Taskforce verantwortet auch die Umsetzung von Ma?nahmen zur Gesundheitsf?r- und -vorsorge sowie die Arbeitsorganisation f?r die Besch?ftigten mit Abstands-/Hygiene-/Homeoffice- und Schichtregelungen. Eine weitere zentrale Aufgabe besteht darin, die Kommunikation mit Besch?ftigten und Stakeholdern aufrechtzuerhalten und zu intensivieren. Zielgruppen dieser 360-Grad-Kommunikation sind neben den eigenen Besch?ftigten und dem Betriebsrat nat?rlich vornehmlich Finanzierer, Kundinnen und Kunden, Lieferanten, Beh?rden und Netzwerke.
Ging es in den ersten Wochen darum, die Schockwelle der COVID-19-Krise, also das "Unerwartete", zu managen, wird es in den n?chsten Wochen und Monaten darum gehen, die erwartete kurz-bis mittelfristige Erholung unter den Bedingungen der rezessiven Folgewirkungen der Krise vorzudenken. Dies erfolgt, indem die Taskforce bei aller Unsicherheit unterschiedliche Szenarien entwickelt und sie in integrierte GuV-Bilanz-Cashflow-Szenarien ?berf?hrt. Diese Ausblicke f?hren dann vermutlich dazu, dass Sie Ihre Strategien f?r die Jahre 2020/2021 beerdigen und Ihr Gesch?ftsmodell auf die neuen Niveaus ganzheitlich anpassen m?ssen. F?r diese Neuausrichtung werden digitale Ans?tze, beispielsweise zur Effizienzsteigerung, verst?rkt eine wichtige Rolle einnehmen, allerdings bei begrenztem Finanzierungsspielraum.
Im Fokus: Absicherung der kurz- und mittelfristigen Liquidit
Im Fokus jeglichen Krisenhandelns muss die Echtzeitsteuerung und Absicherung der kurz- und mittelfristigen Liquidit?t stehen. Dazu wird eine Liquidit?tsplanung mit rollierenden Updates und einer Perspektive von drei bis zw?lf Wochen erstellt. Dabei geht es heute besonders um die Frage, wie realistisch zu erwartende Einzahlungen sind. So hat ein Textillieferant, der die Fr?hjahrskollektion bereits ausgeliefert hat, laut Papierlage beispielsweise eine durchg?ngig positive Liquidit?tssituation, allerdings ist kaum davon auszugehen, dass die offenen Posten fristgerecht beglichen werden. Was sich in der Krisen-/Liquidit?tssteuerung sehr bew?hrt hat, ist die Einf?hrung einer "No-Go-Politik" durch niedrige Genehmigungsgrenzen und einen strengen Freigabeprozess f?r alle Ausgaben, das t?gliche Hinterfragen des Liquidit?tsausblicks und noch mehr als ?blich in Szenarien zu denken.
Personalkosten werden durch die Anpassung des Personalbedarfs und das konsequente Nutzen von Kurzarbeit rasch reduziert. Ebenso konnten Steuerstundungen noch nie so einfach umgesetzt werden wie jetzt. Essentiell ist auch die proaktive Kommunikation mit den bestehenden Finanzierungspartnerinnen und -partnern, unter anderem zur Absicherung der relevanten Beitr?ge, etwa in Form von Linienerh?hungen, Tilgungsaussetzungen oder Covenant-Holidays. Eine weitere Notwendigkeit f?r viele Unternehmen ist die Beantragung von KfW-Mitteln ?ber die Hausbank. Wichtig ist dabei, dass die Hausbank von dem vorgestellten Ansatz ?berzeugt ist, damit sie einen kleinen Teil des Finanzierungsrisikos ?bernimmt. Bislang nicht in Betracht gekommene Quellen der Liquidit?tssch?pfung, wie Sale-and-Lease-back oder Factoring, m?ssen ebenso systematisch erschlossen werden. Auch wenn etwa die Konditionen eines Sale-and-Lease-backs von abgeschriebenen Anlagen oder Maschinen meist teurer sind als ein Kredit, geht in der Krise Liquidit?t vor Rentabilit?t. Ein wichtiger Hinweis noch: In Krisensituationen gibt es beim Generieren von Liquidit?t keine Tabus. Alle M?glichkeiten m?ssen gepr?ft und ausgesch?pft werden.
Praxistipps f?r F?hrungskr?fte im Krisenmodus
In Turnaround- und Krisensituationen ist F?hrung entscheidend. Ein gutes Management-Team macht auch aus miesen Situationen das Beste. F?hrungskr?ften selbst raten wir zu einem besonnenen Pragmatismus und einem realistischen Optimismus, zu einer Haltung also, in der sich Zuversicht mit einer realistischen Einsch?tzung der Lage und wirksamem Handeln verbindet. Unreflektierte "Wird schon"-Parolen sind in der Krisenkommunikation unangebracht. Dazu kommt eine eindeutige Priorit?tensetzung im Planen, eine gemeinsame Wirksamkeit im Handeln und ein Bewusstsein dar?ber, dass man im eigenen Unternehmen auch als Vorbild und Rollenmodell dient. Dabei geht es auch darum, neben all den Hard Facts einen Weg zu finden, mit Heart Facts, also verst?ndlichen ?ngsten und Sorgen umzugehen. Diese Emotionen, auch die eigenen, k?nnen und d?rfen nicht ignoriert werden. Und immer daran denken: Inkonsequenz, gerade bei der Absicherung der Liquidit?t, r?cht sich in der Krise sehr schnell. Dennoch: Solidarit?t ist ebenfalls Gebot der Stunde und wird in Erinnerung bleiben.
?ber die Autoren
Georgiy Michailov ist Managing Partner der Struktur Management Partner GmbH, einer deutschlandweit f?hrenden Restrukturierungsberatung. Georgiy Michailov verf?gt ?ber mehr als 17 Jahre Berufserfahrung im Turnaround- und Wachstums-Management in rund 70 Projekten. Das anspruchsvolle Stakeholder-Management sowie konsequentes Redesign von Gesch?ftsmodellen z?hlen zu seinen Kompetenzschwerpunkten.
Nach Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Germanistik ist Dr. Hans-Joachim Grabow seit 1993 bei Struktur Management Partner und bringt Erfahrungen aus Konzeption und Management von Umbruchphasen in Krisen-, Turnaround- und Wachstumssituationen aus ?ber 140 Projekten diverser Branchen ein.
Mit Zusatzqualifikationen der franz?sischen HEC und INSEAD liegen die Schwerpunkte von Dr. Grabow im Management von Strategie-, Umsetzungs- und Change-Prozessen. Er ist Mitautor des Buches ?Turnaround-Management in der Praxis? (Campus Verlag) sowie Autor diverser Publikationen zum Turnaround- und Change-Management. Bei Struktur Management Partner ist er f?r die Organisation der Seminare und Workshops mitverantwortlich.