Und dort, wo wir ?ber das Thema VUCA sprechen ? also dem Befund, dass die Unternehmensumwelt volatiler, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger wird ? ernten wir meist ein vehementes Nicken.

Auch wenn es die Nischen noch gibt, in denen sich Unternehmen vergleichsweise stabil mit bew?hrten Produkten und Vorgehensweisen halten k?nnen, sehen sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer mit gravierenden Ver?nderungen konfrontiert: Disruptionen durch Plattformgesch?ftsmodelle, gro?e Unternehmen, die zwar nicht ?ber Nacht, aber innerhalb weniger Monate so gut wie vom Markt verschwinden und Start-ups, die die Spielregeln des Markts zu ver?ndern versuchen und es hin und wieder auch schaffen. Wir haben gelernt, mit vermeintlichen Trends vorsichtig zu sein, sind mittlerweile aber ?berzeugt, dass sich vor allem im Gefolge der Globalisierung und Digitalisierung etwas f?r und in Unternehmen ver?ndert. Aber welche Folgen hat der beschleunigte Wandel f?r die Unternehmensf?hrung und die Strategiearbeit im Speziellen?

Das intuitive Erfolgsmodell  mittelst?ndischer Unternehmensf?hrung

Das bew?hrte Erfolgsmodell der deutschen mittelst?ndischen Wirtschaft, dass die Chefin oder der Chef die Strategie (mehr oder weniger intuitiv) f?r sich ausfuchst und die gesamte Organisation auf Umsetzung ?gepolt ist?, geht mit einer ganzen Reihe an Vorteilen einher, ist aber auch riskant. W?hrend die Belegschaft auf der einen Seite davon entlastet wird, operativen Alltag und strategische Weiterentwicklung nebeneinander und aufeinander bezogen zu bewerkstelligen, kann sie quasi ?ber Nacht ohne Orientierung dastehen, wenn die Chefin oder der Chef (aus welchen Gr?nden auch immer) wegf?llt. Daneben entsteht bei erfolgreichen Unternehmenslenkerinnen und -lenkern eine gewisse Pfadabh?ngigkeit: Es f?llt immer schwerer, links und rechts der Erfolgsgeschichte zu schauen ? sie werden h?ufiger betriebs- und erfolgsblind. Es ist augenscheinlich: Dieses Modell passt nicht sonderlich gut zu bewegten und sich schnell ?ndernden M?rkten, die nicht auf den Generationenwechsel und die notwendige Anpassung der Unternehmensstrategie warten.

Die strategische Schleife

Seit einigen Jahren sehen wir, dass auch kleine und mittlere Unternehmen ihre Strategiearbeit ?vergemeinschaften?: Man sitzt f?r einige Stunden oder sogar Tage beieinander ? oft an einem sch?nen Ort abseits der Firma ? und entwickelt die (strategischen) Pl?ne im F?hrungskreis. Es wird Kaffee getrunken, ?ber Wettbewerbskonstellationen gefachsimpelt und eine externe Moderation hinzugezogen. Je nach Geschmack und Zeitgeist schaut man mal mehr auf den Markt oder die eigenen Erfolgspotenziale, sucht blaue Ozeane, analysiert viel oder vertraut sich eher den eigenen kreativen Prozessen an. So wird Strategiearbeit zur Gemeinschaftsaufgabe, das Unternehmen unabh?ngiger von der Chefin oder dem Chef und mehr Eindr?cke und Wahrnehmungen bekommen die Chance, handlungsrelevant zu werden. Was erhalten bleibt: Der entstehende Plan bestimmt das Handeln und Entscheiden. Die Welt wird aus dieser Perspektive betrachtet. Sachliche Abweichungen f?hren meist zu einer Anpassung des bestehenden Plans, selten zu neuen Zielen. Im schlimmsten Fall war fr?her einer blind, nun sind es viele.

Agile Strategieentwicklung = Gesch?ftsmodellentwicklung = New Work?!

Das (Strategie-)Spiel  ver?ndert sich ein weiteres Mal, wenn man die Planung als Annahme, den Planungsprozess als begrenzt und die zugrundeliegenden Ziele als erste Ann?herung versteht. In diesem Sinne begreifen wir Gesch?ftsmodellentwicklung blo? als Variante von Strategiearbeit, die den Blick auf den Funktionszusammenhang und das Zusammenspiel der Gesch?fte lenkt. So verstanden betrachtet eine Gesch?ftsmodellentwicklung das Unternehmen und sein Wechselspiel aus Prozessen, Angeboten, Kundenannahmen, Erl?smodellen sowie Marketing- und Vertriebsaktivit?ten als vorl?ufiges Gleichgewicht, das stets in Konkurrenz zu anderen M?glichkeiten steht, ?Gesch?fte zu machen?. Ob man mit seinen Annahmen richtig liegt und im Wettbewerb bestehen kann, beweist oder widerlegt immer erst die Zukunft.

Dabei ist das Gesch?ftsmodell niemals perfekt und wird durch Interessen, Beziehungsdynamiken und pers?nliche Themen der Entscheiderinnen und Entscheider beeinflusst. Versteht man Strategiearbeit in dieser Weise, ist und bleibt sie ein grunds?tzlich unsicheres Unterfangen f?r die beteiligten Personen. Denn mit diesem Bewusstsein bekommt die Aufmerksamkeit bessere Karten, sich weniger mit dem bestehenden Plan, als mit alternativen M?glichkeiten zu befassen. Ganz ?hnlich wie bei vielen agilen Methoden, die gerade en vogue sind, verschiebt sich der Fokus auf das Ausprobieren und Reflektieren.

Auch ein solches Strategieverst?ndnis kommt nicht ohne Stabilit?t aus. Daher geh?ren die Entwicklung eines robusten Zukunftsbildes ?auf hoher Flugh?he? und eine (angesichts aller Agilit?t erdende) Prozessdisziplin obligatorisch dazu. So k?nnen sich alle im Unternehmen orientieren und auf den Gesamtzusammenhang abseits der unz?hligen Detailabweichungen konzentrieren. Dieser Zugang ist voraussetzungsvoll und verlangt allen Beteiligten eine Unsicherheitskompetenz ab, die unbequem sein kann. Es braucht ein gemeinsames Verst?ndnis f?r den Umgang mit Abweichungen, Anpassungen in der F?hrung und einen h?heren Aufwand f?r Verst?ndigungsprozesse.

Denkt man diese Entwicklung konsequent weiter, landen wir schnell bei den von breiten Selbstorganisationsprozessen gepr?gten Arbeitsmodellen, die gerne mit dem Schlagwort ?New Work? ?berschrieben werden. Letztlich vereinfachen wir die Wirklichkeit mit dieser angedeuteten ?Typologie? nat?rlich stark. Meist mischt es sich praktisch wesentlich st?rker. Am Ende z?hlt nat?rlich auch hier, dass die Form, in der Strategiearbeit stattfindet, zum Unternehmen und seiner Umwelt passt. Damit sprechen wir uns auch ausdr?cklich gegen eine unzul?ssige Vereinfachung aus: Die Umwelt ver?ndert sich st?rker, darum sollte die F?hrung m?glichst agil steuern und planen. Aber vielleicht entsteht bei Ihnen ja auch eine Neugier, sich mit alternativen Formen der strategischen Unternehmensf?hrung zu befassen oder das eine oder andere (ganz agil) auszuprobieren?

Diskutieren Sie mit uns auf unserem Netzwerktreffen am 17. September 2020 in G?ttingen. www.rkw.link/nwt2020