Hennigsdorf nordwestlich von Berlin: Ich besuche Christoph Brosius in seinem neuen B?ro. Ihn kann man als ?Tausendsassa? bezeichnen, der beruflich schon so einige Erfahrungen gesammelt hat. Der gelernte Werbekaufmann und studierte Spieleproduzent arbeitete auch als Regieassistent und gr?ndete die Agentur ?Die Hobrechts? f?r Gamethinking und -design mit der er zum Bespiel die App ?RADIUS? als E-Mental-Health-Programm entwickelt. 

Christoph Brosius sieht sich selbst als ?Perspektivensammler?. Was meint er damit? ?Ich sehe meinen bunten Lebenslauf als Ansammlung von Perspektiven. Eine Perspektive ist dabei f?r mich immer ein Satz an Fragen, die ein Experte in seinem Thema ganz selbstverst?ndlich stellt. F?r jeden neuen Beruf, den ich ausge?bt habe, durfte ich von Profis genau diese Fragen lernen und anwenden. Irgendwann habe ich verstanden, dass Innovation eigentlich immer aus der Kombination von Vorhandenem entsteht. Quasi aus dem Stellen von fachfremden Fragen. Seitdem sammele ich solche Perspektiven ganz bewusst. Gamethinking ist dabei aktuell meine meist nachgefragte Perspektive, also wenn ich als Spieleentwickler Fragen stellen und knifflige F?lle l?sen soll?, erkl?rt Brosius. Momentan arbeitet der 37-J?hrige als Berater f?r Cross-Innovation und Gamethinking und au?erdem als Dozent f?r Gamedesign und liebt es, seine Beratungsf?lle spielerisch anzugehen.

Was ist Gamification, Gamethinking  oder Applied Game Design?
Der Transfer von Konzepten und Technologien des Spiels mit dem Ziel, individuelle, soziale und prozessbezogene Qualit?ten des Spiels auf konkrete Anwendungsgegenst?nde unter Ber?cksichtigung des situativen Kontexts zu ?bertragen. Durch die Integration von Wissen, Erfahrungen oder konkreten Elementen aus der Spieleentwicklung auf nicht-spielerische Produkte und Services soll h?ufig eine  Motivationssteigerung der Personen, ein gro?er Lernerfolg und erh?hte Kundenbindung m?glich sein.

Eine Zusammenarbeit beginnt ?

Wir sind f?r ein Telefonat mit einem seiner Kunden verabredet. Axel Peiffer ist ein Unternehmer durch und durch, er ist Gesch?ftsf?hrer der Peiffer GmbH, ein Speditionsunternehmen mit langer Familientradition aus dem Saarland. Und er hat ein Problem, das viele Gesch?ftsf?hrer von Unternehmen dieser Gr??e haben. Er k?mmert sich gleichzeitig auch um das Controlling, Marketing und die Personalentwicklung und so weiter. ?Mitarbeiter daf?r extra einzustellen, kann ich mir nicht leisten. Deshalb muss ich mir Wege suchen, wie ich das Unternehmen auch so gut steuern kann. Unterst?tzung hole ich mir zum Beispiel durch Beratung oder freie Mitarbeiter?, erz?hlt Peiffer. So kam auch Christoph Brosius im wahrsten Sinne des Wortes ins Spiel. Man k?nnte meinen, das ist eine ungew?hnliche Zusammenarbeit! Wie haben sich der Perspektivensammler und der Unternehmer kennengelernt? ?ber eine Organisation, die K?nstler mit Unternehmern zusammenbringt: das Kreativzentrum Saar. Allerdings hat Axel Peiffer ein Faible f?r ?neue Wege? und mag es, mal etwas auszuprobieren. Auch habe er schon verschiedene Artikel zu Gamethinking gelesen, wie er erg?nzt.

Der Aha-Effekt

Bei einem pers?nlichen Gespr?ch im Winter vergangenen Jahres lernten sich die beiden dann auch kennen, klopften den Sympathiestatus f?reinander ab, und redeten offen ?ber aktuelle Herausforderungen im Betrieb, Ziele und M?glichkeiten der Zusammenarbeit, ohne dass ein konkretes Ergebnis vorliegen muss ? ganz nach dem Motto?verkrampfte Ergebnisorientierung verhindert Ergebnisse, deshalb bleibt der Prozess besser offen?, so der Unternehmer. Gab es bei dem Gespr?ch neue Erkenntnisse? ?Ja, auf jeden Fall!?, best?tigen beide Seiten, ?es gab einen ro?en Aha-Effekt, ein Augen?ffner?, beschreibt Peiffer begeistert.Aber jetzt erst noch einmal zur?ck zur aktuellen Herausforderung des Unternehmers. Wie bei einem Speditionsunternehmen zu erwarten, ist die p?nktliche Lieferung am Zielort ein wichtiges Qualit?tsmerkmal. Daf?r m?sse zumindest gutes Equipment sowie eine gute Infrastruktur zur Verf?gung stehen, wie Peiffer erkl?rt. Die einzelnen Mitarbeiter h?tten aber auch einen enormen Einfluss auf die Betriebsergebnisse, da sie zum Beispiel die LKWs fahren. Und hier m?chte der Unternehmer nun ansetzen: ?Mithilfe des Gamethinking-Ansatzes soll ein System etabliert werden, das dem Unternehmen hilft, sich letztlich selbst zu steuern, und den Mitarbeitern mehr Motivation verschafft!?

Ein einfaches Belohnungsprinzip ist nicht der Weg, den der Unternehmer gehen m?chte, und das wurde in dem Treffen mit Christoph Brosius best?tigt. Nicht durch Belohnung, sondern durch das Einbeziehen der Mitarbeiter selbst, soll die Motivation verst?rkt werden. Zum Beispiel durch das gemeinsame ?berlegen, wie der Arbeitsplatz noch angenehmer gestaltet werden k?nne, f?hrt Peiffer aus. Und wie passt das zum Gamethinking-Ansatz?

Den Fokus auf die intrinsische Motivation zu legen, erkl?rt der Spieleentwickler: Die Motivation jedes Einzelnen soll durch spielerische Elemente aus sich selbst heraus entwickelt werden. Denn das Spielen dient unter anderem dem Selbstausdruck, der Steigerung des Identifizierungsgrads und dazu, den Gemeinschaftssinn anzusprechen. ?Wenn der Job ein Spiel w?re, warum sollten Ihre Mitarbeiter es freiwillig spielen wollen?? fragt der Spieleentwickler aus seiner Perspektive.

Wie es weiter geht

Wird jetzt ein Spiel f?r die LKW-Fahrer von Peiffer entwickelt? ?Am liebsten w?rde ich das machen, aber nein, so weit geht es leider nicht?, entgegnet der Unternehmer. Zeit und Ressourcen seien in der Realit?t oft ein limitierender Faktor, meint auch Christoph Brosius. Was sind also die n?chsten Schritte? ?Mit wenig Mitteln etwas erreichen, Impulse setzen?, so das Credo. ?Ich muss mich fragen, wie ich die Fahrer wirklich abholen kann. Welche Mitarbeiter einen hohen Gemeinschaftssinn haben oder ob es Fahrer gibt, die eine Wettbewerbssituation gut finden?, meint Peiffer. Der Wohlf?hlfaktor spielt eine gro?e Rolle: Zum Beispiel sollen sich die Fahrer in ihren LKWs noch wohler f?hlen.

Allerdings besteht eine Kluft zwischen den vorgegebenen Standards und den individualisierten Vorstellungen der Fahrer. Die CI-Vorgaben von Peiffer, was beispielsweise die Dekoration der Fahrerkabine betrifft, sind nicht immer mit den W?nschen der Fahrer vereinbar. Da m?ssen Kompromisse her. ?Die Fahrer haben sich neue Hupen gew?nscht, die richtig laut sind und was her machen. Die besorgen wir jetzt?, erz?hlt der Spediteur. Das sei eine Schnittstelle zur Entwicklung von Videospielen, erkl?rt Brosius. ?Bei den Gameentwicklern gibt es auch die Ma?gabe, dass Qualit?t vor allem dann zu erzielen ist, wenn die Kraft der Entscheidung auf die Mitarbeiter verlagert wird und nicht im Management bleibt?. Au?erdem ist geplant, ein Dashboard einzusetzen, damit jeder Fahrer seine eigenen Werte wie Fahrstunden, Zeit f?r Ablage oder Pausenzeiten anschauen kann. Das ist einerseits eine digitale Spielerei, die n?tzlich ist und Anreiz schafft, andererseits auch eine M?glichkeit, eine Art Wettbewerb zwischen den Fahrern zu schaffen. ?Zumindest f?r diejenigen, die das m?chten?, betont Peiffer. Wie geht es mit der Zusammenarbeit beider weiter? ?Wir bleiben in Kontakt und sehen zu, dass wir weiter kleine Pakete schn?ren, aber der Prozess ist nicht abgeschlossen und bleibt offen!? Auf die Frage, was Axel Peiffer denn den Lesern des Magazins empfehlen kann, ist der Unternehmer sich sicher: ?Den Mut haben, mal querzudenken und die Dinge
mal ganz bewusst anders zu machen!?


Dieser Beitrag ist in gek?rzter Form dem aktuellen RKW Magazin 1/2017 entnommen. Gern k?nnen Sie weitere Beitr?ge in der PDF lesen, oder bestellen Sie sich gleich eine Printausgabe:

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