Wenn es um die Frage der Nachhaltigkeit und die ?bernahme gesellschaftlicher Verantwortung geht, kommen viele Unternehmen demn?chst an einem Blick auf ihre Lieferkette nicht mehr vorbei. Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das im Juni 2021 verabschiedet wurde, soll in Deutschland k?nftig einen rechtlichen Rahmen schaffen, um den Schutz der Umwelt sowie der Menschen- und Kinderrechte entlang globaler Lieferketten zu verbessern. Ab Januar 2023 verpflichtet es zun?chst Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden dazu, alle unmittelbaren Zulieferfirmen auf die Einhaltung sozialer und ?kologischer Mindeststandards hin zu ?berpr?fen.
Dass es aber auch f?r kleinere Unternehmen durchaus wichtig und sinnvoll ist, sich mit ihrer Lieferkette auseinanderzusetzen, zeigt der deutsche Premium-Hersteller von E-Bikes, Cargo-Bikes und Faltr?dern Riese & M?ller. Gemeinsam mit der Cloud-Plattform sustainabill hat Riese & M?ller damit begonnen, seine internationale Supply Chain sichtbar zu machen. Wir haben mit Dr. Sandra Wolf, Gesch?ftsf?hrerin von Riese & M?ller, und Klaus Wiesen, Gesch?ftsf?hrer von sustainabill, unter anderem dar?ber gesprochen, warum transparente Lieferketten so wichtig sind, um Nachhaltigkeit ganzheitlich in der Wirtschaft zu verankern und diese damit zur Ver?nderung zu bewegen.
Frau Dr. Wolf, 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz f?r Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden in Kraft. Riese & M?ller w?re mit rund 850 Mitarbeitenden also vorerst nicht verpflichtet, sich dieser Sache anzunehmen. Warum tun Sie es trotzdem?
Dr. Sandra Wolf: Ich bin fest davon ?berzeugt, dass es eine wesentliche Aufgabe von Unternehmen ist, Verantwortung zu ?bernehmen und Haltung zu zeigen. Dass unternehmerische Nachhaltigkeitsbestrebungen die Lieferkette umfassen m?ssen, ist f?r mich unumst??lich ? egal welche Gr??enordnung das Unternehmen hat. Es ist deshalb klar, dass wir unseren Sorgfaltspflichten gerecht werden und unsere Lieferkette tiefgreifend verstehen m?ssen, um Ver?nderungen und Verbesserungen voranzutreiben.
Der Gegenwind f?r das Gesetz aus der Wirtschaft ist enorm. Warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht dennoch, auch unternehmerisch, die eigenen Lieferketten sichtbar zu machen?
Dr. Sandra Wolf: Zun?chst einmal finde ich es unglaublich spannend, sich mit der Lieferkette auseinanderzusetzen, daran zu lernen und zu ?berpr?fen, wo die Chancen und Risiken liegen. Man kann n?mlich nicht pauschal sagen, was ?gut? und was ?schlecht? ist, sondern muss seine eigenen Themen erkennen, bewerten und bearbeiten. Ich finde es nachvollziehbar, dass das Lieferkettenschutzgesetz auch Sorge bereiten kann ? die Umsetzung ist aufw?ndig, die Mechanismen sind nur bedingt nachvollziehbar und es gibt viele M?glichkeiten, Transparenz zu verhindern. Trotzdem sollen Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden und das sorgt f?r den von Ihnen genannten Gegenwind. Dennoch glaube ich, es lohnt sich f?r alle Seiten, sich intensiv mit der Lieferkette zu besch?ftigen. Wir k?nnen als Unternehmerinnen und Unternehmer dazu beitragen, dass sich Dinge verbessern, und erfahrungsgem?? wird die Zusammenarbeit mit den Lieferanten intensiver, proaktiver und kreativer.
Um einen ganzheitlichen ?berblick ?ber Ihre internationale Supply-Chain zu erhalten, arbeiten Sie mit dem Unternehmen sustainabill zusammen. Wie ist diese Partnerschaft entstanden?
Dr. Sandra Wolf: Als wir definiert haben, dass das n?chste Ziel unserer Nachhaltigkeitsstrategie die transparente Lieferkette sein muss, haben wir begonnen, riesige Excel-Listen zu erstellen und Kriterien zu erarbeiten. Das wurde ziemlich schnell ziemlich aufw?ndig und ziemlich un?bersichtlich. Da in eine Bewertung auch viele Kriterien politischer, volkswirtschaftlicher, menschenrechtlicher Art einflie?en, die v?llig au?erhalb unseres Kompetenzbereichs liegen, war klar, dass wir ein Tool ben?tigen, das uns unterst?tzt. ?ber ein Projekt mit der GLS-Bank habe ich dann von sustainabill erfahren; das Tool und die Menschen dahinter haben mich sofort begeistert und wir sind dann sehr schnell in das gemeinsame Pilotprojekt gestartet.
Herr Wiesen, Sie sind einer der Gr?nder von sustainabill. Welche Idee stand f?r Sie beim Start Ihres Unternehmens im Jahr 2017 im Vordergrund?
Klaus Wiesen: Ich habe vor der Gr?ndung beim Wuppertal Institut, einem f?hrenden Think Tank f?r angewandte Nachhaltigkeitsforschung, gearbeitet. Dort habe ich festgestellt, dass aus Sicht von Unternehmen Risiken in Bezug auf Nachhaltigkeit in den meisten F?llen aus der Lieferkette kommen. Bezogen auf CO2 kommen beispielsweise im Durchschnitt ?ber 80 Prozent der Emissionen aus der Lieferkette. Diese Risiken konnten die Unternehmen aber bislang nicht managen, da die Transparenz in der Lieferkette fehlte. Dieses Problem wollte ich mit meinen Mitgr?ndern l?sen und es so erm?glichen, Ma?nahmen gezielt und effizient umsetzen zu k?nnen.
Ihr Ziel ist es, mit sustainabill den Schutz von Klima und Menschenrechten in globalen Lieferketten zu etablieren. Was verbirgt sich hinter dem Gesch?ftsmodell?
Klaus Wiesen: Wir bieten eine Cloud-Plattform, die Unternehmen hilft, eine nachhaltige und transparente Beschaffung sicherzustellen. Innerhalb von Unternehmen richten wir uns mit unserer L?sung an Einkaufsorganisationen, Lieferketten- und Nachhaltigkeitsmanager. Sie k?nnen Transparenz entlang der Lieferkette schaffen, Anforderungen und Ma?nahmen kommunizieren und deren Umsetzung ?berwachen. Dabei setzen wir auf die Zusammenarbeit mit den Lieferanten ? und das in jeder Stufe der Lieferkette bis zur F?rderung der Rohstoffe.
Wie k?nnen wir uns eine solche Lieferkettenanalyse konkret im Fall von Riese & M?ller vorstellen?
Klaus Wiesen: Wesentliche Elemente folgen immer dem gleichen Ablauf und sind durch die Plattform vorgegeben, so auch bei Riese & M?ller: Zun?chst werden die Lieferanten auf die sustainabill-Plattform eingeladen. Die Lieferanten bewerten dann die Nachhaltigkeit ihres Unternehmens und ihrer Produkte und teilen dies mit den Kunden. Zudem k?nnen die Lieferanten wiederum ihre Lieferanten auf die sustainabill-Plattform einladen.
Die Lieferkette wird so automatisch abgebildet und visualisiert. Standorte, Prozesse und eingesetzte Materialien in der Lieferkette sowie die damit verbundenen Nachhaltigkeitsrisiken werden sichtbar.
Was sind die Hauptbeweggr?nde der Unternehmen, die sich an Sie wenden? Die ?drohende? Pflicht oder ein echtes Interesse an einer Verbesserung?
Klaus Wiesen: F?r viele Unternehmen ist die ?drohende? Pflicht der Weckruf. Unsere Kunden nutzen diesen Weckruf aber mehrheitlich, um Nachhaltigkeit ganzheitlich im Unternehmen zu verankern ? ?ber die Anforderungen des Lieferkettengesetzes hinaus.
Frau Dr. Wolf, gerade Fahrr?der haben sich Im Laufe der Pandemie ja zu einem besonders begehrten Gut entwickelt. Lieferengp?sse f?hrten dazu, dass viele Kunden froh waren, wenn Sie ?berhaupt ein neues Rad ergattern konnten. Wo liegen die Herausforderungen bez?glich der Lieferkette in der Fahrradproduktion?
Dr. Sandra Wolf: Aktuell ist es so, dass quasi jede denkbare Herausforderung eine reale ist und die Situation immer komplexer wird. Es f?ngt bei den Rohstoffen an, die aufgrund der hohen Nachfrage immer knapper werden, und geht ?ber die Transportschwierigkeiten durch geschlossene H?fen oder fehlende Transportkapazit?ten bis zu Schwierigkeiten durch Unwetter oder unvorhersehbare Ereignisse wie die Blockade im Suez-Kanal. Hinzu kommt
jetzt noch, dass wir aus Nachhaltigkeitsgr?nden vielfach auf den Landweg per Bahn auf die Route der transsibirischen Eisenbahn umgestiegen sind und die aktuelle Russlandkrise diese Option wieder v?llig infrage stellt. Es bleibt auf jeden Fall aufregend.
Riese & M?ller hat sich zum Ziel gesetzt, 2025 der nachhaltigste E-Bike-Hersteller weltweit zu sein. Was m?ssen Sie noch angehen, um dieses Ziel zu erreichen?
Dr. Sandra Wolf: Auch wenn wir schon viel erreicht haben, stehen wir noch verh?ltnism??ig am Anfang. ?Zu Hause? an unserem Standort in M?hltal haben wir bereits ziemlich viele Hausaufgaben gemacht, aber die Lieferkette zeigt uns so viele Aufgaben auf, dass wir sehr viel zu tun haben. F?r mich ist es eher eine Vision als ein Ziel, das mit KPIs in drei Jahren erreicht sein muss. Vor allem ist es eine Vision, mit der ich die ganze Branche bewegen m?chte, sich zu ver?ndern. Was m?ssen wir also noch tun? Vieles, w?rde ich sagen. Vor allem aber weiter die gro?en Themen angehen, die wir in der Analyse der Lieferkette erkennen.
Herr Wiesen, wie sieht Ihre Vision einer nachhaltigen Zukunft aus und was kann sustainabill dazu beitragen?
Klaus Wiesen: Unsere Vision ist, dass Nachhaltigkeit in allen Lieferketten weltweit ? von der Rohstoffe-F?rderung bis zum Endverbraucher ? etabliert ist. Wir tragen mit unserem Unternehmen aktiv dazu bei, dass diese Vision Wirklichkeit wird, indem wir Transparenz schaffen und so helfen, die Nachhaltigkeit der Lieferkette zusammen mit den Lieferanten zu verbessern.
Frau Dr. Wolf, Herr Wiesen, vielen Dank f?r die interessanten Einblicke!
Dr. Sandra Wolf ist seit 2013 Gesch?ftsf?hrerin der Riese & M?ller GmbH. presse@r-m.de
Klaus Wiesen ist Mitgr?nder und CEO der sustainabill GmbH. klaus.wiesen@sustainabill.de
Die Fragen stellten Stephanie Kropf und Julia Niles. Beide sind Referentinnen beim RKW Kompetenzzentrum.
Erstver?ffentlichung: RKW Magazin "Nachhaltigkeit" , Ausgabe 1/2022