Eine komplizierte Kombination aus verf?hrerischen Annahmen bei der Startup-F?rderung, kulturell bedingten Verhaltensmustern und der Skalierungslogik der Venture-Capital-Branche scheint die festgefahrenen Anteile zwischen M?nnern und Frauen in der Tech-Szene zu beg?nstigen. Der Beitrag thematisiert folgende Ph?nomene als Blockaden im System:

  • Der Mythos der Quantit?t: mehr Input (Geld, Wissen, Infrastruktur) f?hrt nicht zwangsl?ufig zu mehr Output (Gr?ndungen)
  • Der lange Schatten des ?Boys Club? aus dem Silicon Valley: Etablierte Tech-Unternehmer werden zu Investoren und bevorzugen Startup-Teams, die dem eigenen Erfolgsmuster sehr ?hnlich sind
  • ?Blitzscaling" und Familienplanung: die Gleichzeitigkeit von Schwangerschaft, Kindererziehung und der Aufbau eines Startups mit Lichtgeschwindigkeit ist kein Perfect Match

Und am Ende bleibt die Frage, wie wir in der Tech- und Startup-Szene eine Balance zwischen M?nnern und Frauen erreichen k?nnen.

Female Entrepreneurship im Tech-Sektor ? auf der Suche nach den Blockaden im System

Die Unterst?tzung von Gr?ndungen durch Frauen erf?hrt seit mehreren Jahren eine besonders hohe Aufmerksamkeit. W?hrend bei der Gesamtheit aller Gr?ndungsaktivit?ten eine Ann?herung zwischen den Geschlechtern beobachtbar ist, scheinen die Anteile in der Tech- und Startup-Szene festgefahren. Hier bleiben Frauen nach wie vor die Ausnahme. Welche Ursachen sind dabei ausschlaggebend? Der Kern liegt vor allem im Arbeitsethos und der Skalierungslogik der Branche. Anders ausgedr?ckt: es geht um die Art und Weise wie ein Unternehmen in der Startup-Welt erfolgreich aufgebaut werden kann. Hinzu kommen Unterst?tzungsma?nahmen, die der Komplexit?t von ?kosystemen teilweise nicht gerecht werden. Das zunehmende Bewusstsein f?r Diversity und Impact bietet jedoch langfristig eine Chance f?r ausgewogenere Gender-Anteile in der Startup-Welt.

Studienfachwahl beeinflusst das Gr?ndungsverhalten

Auf zehn Gr?ndungen von M?nnern kommen derzeit etwas mehr als sechs Gr?ndungen von Frauen. Der Gender-Gap ist im vergangenen Jahrzehnt etwas kleiner geworden. Beim n?heren Hinsehen zeigen sich jedoch ausgepr?gte Unterschiede bei der Art und Ausrichtung der Gr?ndungen (1). Geschlechterspezifische Gr?ndungsaktivit?ten lassen sich durch einen Blick auf die Studienfachwahl erkl?ren. Der hohe Anteil der Abschl?sse in den Feldern Medizin, Rechtswissenschaften, Literatur und Sprachwissenschaften liefert eine wichtige Erkl?rung f?r den relativ hohen Anteil von Frauen bei Gr?ndungen in den freien Berufen. Demgegen?ber stehen geringere Anteile in den Fachrichtungen Ingenieurwissenschaften und Informatik - h?ufig ein wesentliches Kompetenzmerkmal der Personen von Tech- oder Startup-Gr?ndungen (2). Die m?nnliche Dominanz in den technischen Wissenschaftsfeldern reicht in vielen L?ndern mehrere Jahrzehnte zur?ck. So erinnerte die New York Times bereits in den 1950er Jahren: ?Modern science is a young man?s business? (3).

Jede f?nfte Startup-Gr?ndung durch eine Frau

Der fachliche Hintergrund von Frauen, nicht selten bedingt durch ein einseitiges Rollenverst?ndnis in der Gesellschaft, bietet somit einen wichtigen Erkl?rungsansatz f?r die geringe Pr?senz von Frauen in der Startup-Szene. Hier liegt der Anteil von Gr?nderinnen im Durchschnitt der letzten Jahre bei lediglich 19 Prozent (4). Besonders krass sind die Unterschiede bei risikokapitalfinanzierten Gr?ndungen. Im Jahr 2021 entfielen ganze 83 Prozent der Venture-Capital-Deals in Deutschland auf rein m?nnliche Teams. Lediglich bei etwa 5 Prozent der Investitionsrunden waren es Startup-Gr?ndungen durch Frauen und bei 11 Prozent gemischte Teams (5).

Bekannte Heilmittel - geringe Wirkung?

Die vermeintlichen Heilmittel f?r die Aufl?sung des chronischen Ungleichgewichts in der Startup-Szene sind durchaus bekannt. Zu diesen geh?ren unter anderem der Ausbau von Betreuungs- und Unterst?tzungsangeboten, F?rderung von M?dchen und Frauen speziell in den MINT- und Wirtschaftswissenschaften, mehr weibliche Rollenvorbilder, die die Vielfalt und Diversit?t von weiblichem Unternehmertum prominent machen und mehr Frauen als Venture-Capital-Investorinnen (6). In den vergangenen Jahren sind vielf?ltige Initiativen und Ma?nahmen ins Leben gerufen wurden, um die Situation f?r Frauen in der Startup-Szene zu verbessern. Anhand der Statistiken l?sst sich jedoch bisher keine signifikante ?nderung zugunsten von Tech-Gr?ndungen durch Frauen feststellen. Warum f?hren die gro?en Anstrengungen von politischer aber auch privatwirtschaftlicher Seite kaum zu Fortschritten? Eine komplizierte Kombination aus falschen Annahmen, kulturell bedingten Verhaltensmustern und der Skalierungslogik der Startup-Branche scheint die festgefahrenen Anteile zwischen M?nnern und Frauen in der Tech-Szene zu beg?nstigen.

Der ?Mythos der Quantit?t?

Wie eine Vielzahl von gesellschaftlichen Ph?nomenen sind Startup-?kosysteme komplex. Einfache Ursache-Wirkungsannahmen zwischen zwei Variablen funktionieren in der Regel nicht. Das hei?t, mehr Input f?hrt nicht zwangsl?ufig zu mehr Output. Derartige Annahmen verleiten nicht selten zu einer Fehlallokation von Ressourcen, auch bei der Unterst?tzung von Startup-Gr?ndungen. Der Tech-Unternehmer Brad Feld spricht in diesem Zusammenhang von einem Myth of Quantity: ?[?] if we just get more of everything, then we can create a vibrant startup community. We need more capital, more innovation centers, more accelerators, more incubators, more university programs, more startup events. More, more, more. It follows linear systems thinking whereby an increase in critical inputs (resources like capital and talent) increases desired outputs (startups) and outcomes (value creation). The problem is, more of everything doesn?t work.? (7) Nat?rlich spielt die Bereitstellung von kritischen Input-Faktoren f?r das ?kosystem eine wichtige Rolle. Allerdings sollte die Art und Weise wie aus den gegebenen Ressourcen in der Startup-Welt unternehmerische Werte geschaffen werden st?rker in den Fokus r?cken. Und hier sind Frauen offensichtlich im Nachteil.  

Der lange Schatten des ?Boys Club? aus dem Silicon Valley

In der kalifornischen Tech- und Startup-Szene entwickelte sich in den 1970er und 1980er Jahren eine Arbeitskultur mit weltweitem Einfluss auf die damals noch junge Computerbranche. Das ?kalvinistische Ethos? des Silicon Valleys wirkt bis heute fort: ?Achtzig-Stunden-Wochen waren die Norm. V?lliges Eintauchen in die Arbeit war ein Ehrenzeichen.? In dieser Phase liegt auch der Ursprung einer m?nnlich gepr?gten Hackerkultur, bei der es vor allem darum ging alles andere beiseite zu legen, um eine perfekte Codefolge zu schreiben (8). Die Technologiebranche hat seitdem kaum fassbare pers?nliche Verm?gen generiert. Hiervon haben vor allem M?nner profitiert. Und das Geld wird vor allem in solche Gr?nder und Teams reinvestiert, die dem eigenen Erfolgsmuster sehr ?hnlich sind: ?The most successful founders all seem to be white, male nerds [?] and they absolutely have no social life? (9).

?Blitzscaling" und Familienplanung: kein Perfect Match

Hohe Bewertungen standen seit der Erfindung des Venture Capital zwar immer schon im Fokus, mit der Etablierung des Begriffs ?Unicorn? durch die Venture-Capital-Investorin Aileen Lee im Jahr 2013 wurde jedoch mangelnde unternehmerische Substanz in nicht wenigen F?llen durch einen Schleier des mystischen verdeckt: mit ?Blitzscaling? in k?rzester Zeit zu neuen H?chstbewertungen (10). F?r die F?hrungscrew der Startups eine Ausnahmesituation, die den Beteiligten alles abverlangt. Und genau hier entsteht f?r Frauen offensichtlich ein Nadel?hr. Eine nachvollziehbare Erkl?rung liefert Constanze Buchheim, Gr?nderin und Managing-Partnerin einer Personalberatung f?r C-Level-Besetzungen und Spitzenpositionen: "Die Organisation w?chst deutlich schneller, als dass man den Prozess bewusst steuern k?nnte und wir auch als Pers?nlichkeiten und in der F?hrung mitwachsen k?nnen [?] es fordert wirklich psychologisch, emotional, physiologisch alles, um in so einer Phase mitzugehen. Super spannend, aber eben nur in bestimmten Lebensphasen.? Phasen der Skalierung kollidieren jedoch h?ufig mit der Nachwuchsplanung. Die Gleichzeitigkeit von Schwangerschaft, Kinderbetreuung und der Neuausrichtung der Organisation im ?Vierstundentakt? stellen eine potenzielle Zerreisprobe dar. ?Und diesen Modus w?hlen deshalb sehr viele (Frauen) f?r sich ab.? (11) Im Herbst 2022 gab es in Deutschland 36 Startups mit einem Einhorn-Status, also einer Bewertung von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Unter den Gr?ndenden befand sich eine Frau (12).

Alternative Wege auf den Startup-Gipfel

Die aktuelle Startup-Strategie der Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Startup-Gr?nderinnen zu st?rken. ?ber den Zukunftsfonds werden weiblich und divers aufgestellte Wagniskapitalfonds finanziert, durch ?Exist Women? zus?tzliche finanzielle Mittel und Unterst?tzungsleistungen bereitgestellt und Frauen in Investment-Komitees von staatlichen Fonds und Beteiligungsgesellschaften st?rker eingebunden. Flankiert werden diese kapitalorientierten Ma?nahmen durch Role-Model-Initiativen und Gleichstellungsma?nahmen im Erwerbsleben (13). Parallel streben die Bundesl?nder h?here Anteile von Frauen in den technischen Bildungsfeldern an und bauen an den Unis und Hochschulen die Entrepreneurship-orientierten Lehr- und Unterst?tzungsangebote weiter aus. 

Die Ans?tze klingen vielversprechend. Allerdings ist die Frage naheliegend, ob es nun endlich klappen kann, mit dem gew?nschten Anstieg an Startup-Gr?nderinnen. Denn viele Ma?nahmen greifen auf die oben beschriebenen Heilmittel zur?ck, welche in der Vergangenheit nur eine geringe Wirkung entfalten konnten. Hoffnung macht sowohl eine gr??ere politische und finanzielle Power als in bisherigen Unterst?tzungsprogrammen als auch ein st?rkeres Bewusstsein f?r Diversity-Themen, vor allem bei j?ngeren Menschen. Der unternehmerische Weg an die Spitze der Tech-Szene bleibt jedoch so herausfordernd und steinig wie bisher: Erfolg durch ?Hyperscaling? oder ?Blitzscaling? im Sinne der Investoren aber auch aufgrund der Notwendigkeit schneller als die Konkurrenz am Markt zu sein. Diese Kernlogik der Startup-Welt hat (zumindest bis heute) einen niedrigen Frauenanteil zur Folge. Somit braucht es alternative Routen, um den Gipfel der Tech-Branche zu erreichen. Welche Wege sind hier realistisch? Ein langsameres Wachstum von Tech-Unternehmen (im Einklang mit der Familienplanung)? Scheint utopisch. Eine Abkehr im Streben nach Einh?rnern mit Milliardenbewertungen? Klingt unrealistisch. Eine Neubesetzung der F?hrungspositionen nach der Skalierungsphase im Sinne von gemischten F?hrungsteams und Diversity? H?rt sich schon besser an. Bessere Rahmenbedingungen f?r Technologien, die ?kologische und soziale Ver?nderungen hervorbringen? Absolut begr??enswert, denn hier sind Frauen besonders stark (14). Weitere Fragen sind erw?nscht. Und nat?rlich auch die passenden Antworten.  

Danke an meine Kollegin Rabena Ahluwalia f?r die Durchsicht des Beitrags. Besten Dank auch an Constanze Buchheim, Julia Kahle und Birgit Stelzer f?r konstruktive Anmerkungen zum Text.

Der Beitrag erschien erstmals am 7. M?rz 2023 auf LinkedIn.

Quellen

(1) Global Entrepreneurship Monitor ? L?nderbericht 21/22, Rolf Sternberg et al., 2022, S. 86
(2) KfW Research - Female Entrepreneurship - Mobilisierung von Gr?nderinnen ist wirtschaftliche Chance und gesellschaftliche Aufgabe, Steffen Viete et al., 2022, S. 5 
(3) The Code ? Silicon Valley and the remaking of America, Margaret O?Mara, 2019, S. 25
(4) KfW-Startup-Report, Georg Metzger, 2022, S. 2
(5) KfW Research - Female Entrepreneurship - Mobilisierung von Gr?nderinnen ist wirtschaftliche Chance und gesellschaftliche Aufgabe, Steffen Viete et al., 2022, S. 10
(6) Global Entrepreneurship Monitor ? L?nderbericht 21/22, Rolf Sternberg et al., S. 96
(7) The Startup Community Way ? Evolving an Entrepreneurial Ecosystem, Brad Feld und Ian Hathawy, S. 134
(8) The Code ? Silicon Valley and the remaking of America, Margaret O?Mara, S. 199
(9) Why can?t tech fix its gender problem?, MIT Technology Review, Margaret O?Mara, 11. August 2022, online
(10) The wave of unicorn IPOs reveals Silicon Valley?s groupthink. There is more to life than blitzscaling, The Economist, 17. April 2019, online
(11) Deutschlands digitale Hoffnungstr?ger, manager-magazin-Podcast, 7. 12. 2022, ?Wieso ist Personenkult so sch?dlich, Constanze Buchheim??, ab Minute 39
(12) Kater nach der Einhorn-Party, Handelsblatt 18./19./20. November 2022, S.46-53
(13) Die Start-up-Strategie der Bundesregierung (2022), S. 21
(14) Female Founders Monitor 2022, Startup Verband, S. 21

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