Redaktion: Prof. Dr. Gigerenzer, welche Kompetenzen zeichnen einen guten Entscheidungstr?ger aus, au?er dass er Statistiken richtig interpretieren kann?

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer: Ein guter Entscheider hat Erfahrung mit dem Gegenstand, er ist gut informiert. Er hat Mut, Entscheidungen zu treffen, auch jene, die von ihm nicht unbedingt erwartet werden. Und ein guter Entscheider vertraut seiner Intuition. Man braucht also Kopf und Bauch beim Entscheiden. Wir leben in einer Gesellschaft, die Daten und komplexe Berechnungen sch?tzt, aber der Intuition misstraut. Intuition ist nicht eine g?ttliche Eingabe oder ein sechster Sinn. Sondern sie wird dann eingesetzt, wenn man unter einem Berg von Informationen begraben ist und trotzdem sp?rt, wie man sich entscheiden muss, ohne es erkl?ren zu k?nnen.

Redaktion: Wie merken Entscheidungstr?ger, wann sie auf den Kopf h?ren sollten und wann auf den Bauch?

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer: Intuition ist gef?hltes Wissen, das schnell im Bewusstsein ist, aber dessen Gr?nde wir nicht kennen. Und aus dieser Definition kann man bereits einiges lernen. Nehmen wir das Beispiel eines Firmenvorstands, mit dem ich gearbeitet habe.

Der Vorstand bestand aus f?nf M?nnern und musste wichtige Entscheidungen f?llen. Vor einer m?glichen Fusion waren vier Vorstandsmitglieder daf?r, aber ein Mitglied hatte ein schlechtes Bauchgef?hl. Die anderen vier haben ihn gebeten, seine Gr?nde zu erl?utern, die dagegen sprachen. Der Vorstand mit dem schlechten Bauchgef?hl hat daraufhin im Nachhinein Gr?nde produziert, die von den restlichen Vorstandsmitgliedern zertr?mmert wurden.

Das Ergebnis: Man segelte ins Ungl?ck. Die Vorstandsmitglieder haben sich in der Folge mit Intuition auseinandergesetzt und dadurch eines gelernt: Wenn jemand ein schlechtes Bauchgef?hl hat, dann hat es keinen Sinn, nach Gr?nden zu fragen, denn die Person kann diese nicht artikulieren, sie sp?rt es einfach. Vielmehr sollte man eine andere Frage stellen, und zwar sich selbst: Ist der Vorstand mit dem schlechten Bauchgef?hl derjenige, der die meiste Erfahrung mit dem Thema hat? Falls ja, dann bringt es nichts, Fragen zu stellen, dann sucht man sich besser eine andere Investition. Dieses Beispiel zeigt, dass man mit einfachen Regeln merken kann, ob es sich lohnt, nachzufragen.

Redaktion: Was passiert, wenn ein Entscheidungstr?ger seiner eigenen Intuition misstraut?

Prof. Dr. Gerd Gigerenzer: Die Angst vor der eigenen Intuition kann zu zwei Reaktionen f?hren: Die erste ist, dass man seiner Intuition zwar folgt, es aber nicht zugibt, weil man Angst hat, sie nicht begr?nden zu k?nnen. Man sucht also im Nachhinein nach Gr?nden, die man pr?sentieren kann, oder man stellt eine Beratungsfirma ein, die auf 200 Seiten f?r teures Geld die Gr?nde liefert. Intuition wird also im Nachhinein rationalisiert. Die zweite Reaktion nenne ich defensives Entscheiden: Man sp?rt zwar intuitiv, dass man sich f?r Option A entscheiden sollte. Aber im Falle des Scheiterns kann man das ja nicht rational erkl?ren. Deshalb entscheidet man sich f?r eine zweitklassige Option B, die sich besser begr?nden l?sst. Das f?hrt in der Praxis dazu, dass der Patient, der Steuerzahler oder der Kunde nur die zweitbeste Option erh?lt, weil sich der Entscheidungstr?ger selbst sch?tzen will. Defensives Entscheiden ist weit verbreitet und kommt viele Firmen teuer zu stehen.