Was tun Sie, wenn Sie Hunger haben? Sie k?nnen entweder ein bestimmtes Gericht ausw?hlen, Zutaten einkaufen, nach Rezept zubereiten und hoffen, dass es gelingt. Oder aber Sie schauen nach, was Sie noch an Vorr?ten zu Hause haben und machen etwas Leckeres daraus ? ohne Planung, daf?r aber mit einem wom?glich ?berraschend guten Ergebnis.
Diese eing?ngige Metapher wird gerne verwendet, um die unternehmerische Methode Effectuation zu erkl?ren, die erstmals vor etwa 15 Jahren von der in den USA lebenden, indischen Entrepreneurship-Forscherin Saras Sarasvathy beschrieben wurde. In kognitionswissenschaftlichen Experimenten hatte sie untersucht, wie erfolgreiche Unternehmerpers?nlichkeiten ihre unternehmerischen Entscheidungen treffen. Anders als erwartet folgten die Probanden keiner strengen Kausallogik ? also dem Versuch, ein vorab gesetztes Ziel unter Aufwendung der genau daf?r erforderlichen Mittel und Ressourcen zu erreichen. Insbesondere dann nicht, wenn sie sich in einer unsicheren Situation befanden, in der man kaum Vorhersagen ?ber zuk?nftige Entwicklungen machen konnte. Mit ihrer Erforschung der ?entrepreneurial method? hat Saras Sarasvathy damit den Grundstein f?r Effectuation gelegt.
Essentieller Bestandteil der Methode ist die Orientierung an den unmittelbar zur Verf?gung stehenden Mitteln und dem, was sich daraus machen l?sst. Die Arbeit mit Zielen spielt zwar auch bei Effectuation eine Rolle, doch werden sie hier flexibel gehandhabt und unter Ber?cksichtigung der gegebenen Rahmenbedingungen bei Bedarf angepasst (siehe Interview, S. 32). Wichtig ist au?erdem das Prinzip des ?leistbaren Verlusts?. Man stellt sich also nicht die Frage ?Was bringt mir das??, sondern ?Was ist mir der Versuch wert?? Eingesetzt werden dann nur Mittel und Ressourcen, deren Verlust verkraftet werden kann. Das Scheitern ? sollte es eintreten ? wird somit kalkulierbar. Ebenso sind unvorhergesehene Ereignisse und Zuf?lle, die sonst ?blicherweise als St?rung empfunden werden, bei Effectuation Teil des Prozesses und werden als selbstverst?ndlich, meist sogar als Bereicherung angenommen. Und schlie?lich sind es insbesondere pers?nliche Vereinbarungen und Partnerschaften innerhalb des eigenen Netzwerkes, die den Prozess ma?geblich mitgestalten.
Man k?nnte die Methode also auf den Nenner bringen: Arbeiten mit dem was man hat und mit Menschen, die man kennt, um etwas Neues entstehen zu lassen. Somit kann Effectuation in vielf?ltigen Kontexten ? und nicht nur in der K?che ? angewandt werden: F?r die Entwicklung neuer Gesch?ftsmodelle und die Gr?ndungen von Startups ebenso wie f?r Prozesse in bestehenden Unternehmen ? von der Organisationsentwicklung ?ber die Implementierung von Innovationen bis zu Ma?nahmen zur Digitalisierung.

Der ?sterreichische Organisationsberater, Dozent und Autor Michael Faschingbauer besch?ftigt sich intensiv mit unternehmerischer Zukunftsgestaltung und gilt als Experte f?r die Methode Effectuation. Sonja Alt hat ihn zum Thema befragt.
Herr Faschingbauer, in welchen Situationen ist die Anwendung von Effectuation f?r Unternehmen sinnvoll?
Es gibt Unterschiede zwischen weitgehend ungewissen Situationen und solchen, die zwar risikobehaftet aber noch gut planbar sind. Schauen wir uns zum Beispiel an, womit Medienunternehmen aktuell k?mpfen: Wenn ihnen die Ums?tze der gedruckten Zeitung als auch die Ums?tze aus der Werbung wegfallen, dann ist es notwendig, ein neues Gesch?ftsmodell zu entwickeln, das in Zukunft tr?gt. Da w?rde ich sagen: Hier ?berwiegt die Ungewissheit und es kann einem keiner sagen, was genau man tun soll. Wenn ich aber ein Franchise-Unternehmen gr?nde und dabei auf ganz vielen Daten aufbauen kann, dann sind ziemlich viele Aspekte zwar risikobehaftet aber trotzdem gut planbar an meinem Vorhaben.
Und in diesen ungewissen Situationen muss ich dann auch mit meinen Zielvorstellungen anders umgehen?
Richtig. Wenn ich f?r die Zukunft keine g?ltige Landkarte habe, dann ist es auch wenig sinnvoll, mir ganz genau zu ?berlegen, wohin ich m?chte. Die Ma?gabe w?re also: Wenn etwas ungewiss ist, sollte ich das Ziel eher als Richtung interpretieren und mir M?glichkeiten der Operationalisierung und Konkretisierung offen lassen. Wo genau ich ankomme, hat dann ganz viel damit zu tun, wer mir unterwegs begegnet und etwas in das Vorhaben einbringt. Ganz oft ist es der Kunde, der mir sagt, was mein Ziel sein k?nnte, oder ein Partner, mit dem ich etwas gemeinsam mache. Es geht also um einen flexiblen Umgang mit Zielen. Ziele als Richtung, aber nicht als Selbstzweck.
Die ?Mittelorientierung? ist bei Effectuation essentiell. Um welche Mittel geht es hier?
Die Forschung hat bei der Beobachtung sehr erfahrener Unternehmer festgestellt, dass viel Neues entsteht, weil die Personen bei einem naheliegenden Handlungsanlass anfangen und dann einfach mit dem arbeiten, was sie als Pers?nlichkeit mitbringen ? also ihre Vorlieben, was sie m?gen, was sie interessiert, was sie bereits erlebt haben, was sie k?nnen. Und auch wen sie kennen, beginnend mit dem sozialen Netzwerk. Und mit diesen Zutaten, die alle zun?chst immateriell sind, kann ich loslegen. Das sind dann ganz einmalige Kombinationen aus meinen Interessen, meinen Vorstellungen und meinen Bedingungen. So komme ich gut voran, ohne wissen zu m?ssen, wo die Reise letztendlich hingehen wird. Das ist besser als wenn ich mir ein Ziel ausdenke und mir ?berlegen muss, wo ich das Wissen, die Kontakte und so weiter herbekomme, um mein Vorhaben umsetzen zu k?nnen. Im Ungewissen kann mir auch keiner sagen, ob mein Ziel ?berhaupt erreichbar ist.
Wie kann ich als bestehendes, gro?es Unternehmen die Methode Effectuation in meine Organisation integrieren?
Das kann man sich vorstellen wie ein zweites Betriebssystem, das man in die Organisation holt. F?r Vieles in der Organisation kann das Planen weiterhin gut funktionieren oder ist sogar die beste Methode. Jetzt gibt es aber diese Felder, wo planen eben nicht so gut funktioniert. Wenn ich zum Beispiel pl?tzlich vor der Herausforderung stehe, dass ich nicht mehr wei?, wo zuk?nftig meine Konkurrenz herkommt, wie zum Beispiel in der Medienbranche oder der Finanzwirtschaft. Oder wenn bei den digitalen Gesch?ftsmodellen ?berhaupt nicht mehr klar ist, wer Freund und Feind ist und was in Zukunft noch funktionieren kann. Genau f?r diese Fragestellungen brauche ich jetzt andere Ansatzpunkte: Mit wem kann ich in Interaktion treten? Gibt es Startups, die sich mit ?hnlichen Dingen besch?ftigen wie wir und die wir ins Boot holen k?nnen? Gibt es Unternehmen, die ?hnlich strukturiert und mit der gleichen Herausforderung ? zum Beispiel der Digitalisierung ? k?mpfen, mit denen ich mich zusammenschlie?en und gemeinsam etwas Neues ausprobieren kann? Ich brauche also nicht die ganze Organisation oder deren Kultur zu ?ndern. Vielmehr geht es darum, eine andere Methode anzuwenden auf eine spezielle Fragestellung.
Welche Reaktionen begegnen Ihnen in Organisationen beim ersten Kontakt mit Effectuation? Gibt es Vorbehalte?
Die Unterscheidung, wann kausales Planen und Managen sinnvoll ist und wann sich eher ein Set an unternehmerischen Faustregeln eignet, wie es die Effectuation bietet, das versteht man schnell ? ob in Firmen, bei Gr?ndern, in KMUs oder in Gro?unternehmen. Da gibt es meist zun?chst ein Aufatmen, weil man merkt, dass man nicht so verkehrt liegt, wenn man in zunehmend komplexeren und nicht mehr planbaren Situationen scheinbar ?wurschtelt?. Schwierig wird es dann oft in Organisationen, wenn man keine Handlungserlaubnis erh?lt, bevor es keinen wasserdichten Plan vorzuweisen gibt. Da spielen auch Kulturfragen in Organisationen eine Rolle.
Bei Effectuation geht es auch darum, dass Ungewissheit und Scheitern Teil des Prozesses sind. Wichtig ist, Scheitern ?berhaupt in Betracht zu ziehen, m?glichst fr?h zu scheitern und dann gut zu verarbeiten, um danach auch bald wieder beherzt weitermachen zu k?nnen.
Was sind die ersten Schritte f?r Unternehmen, die die Methode anwenden mochten?
Es hilft, sich zun?chst einen Impuls reinzuholen, zum Beispiel indem eine Gruppe von F?hrungskr?ften sich mit der Methode auseinandersetzt und inspirieren l?sst. Darauf aufbauend kann man selbst in der Organisation weiterarbeiten und den Ansatz f?r Fragestellungen wie beispielsweise die Digitalisierung, die Erschlie?ung neuer M?rkte oder Innovationen ausprobieren. Bei der Implementierung ist es dann auch sinnvoll, sich externe Begleitung in die Organisation zu holen, da man sonst rasch in gewohnte Planungsmuster verf?llt.
Herr Faschingbauer, vielen Dank f?r das Gespr?ch.
Gern k?nnen Sie weitere Beitr?ge in der PDF lesen, oder bestellen Sie sich gleich eine Printausgabe: