F?hrt selbst f?r kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kein Weg mehr an Facebook, Twitter & Co. vorbei? K?nnen KMU soziale Medien ?berhaupt vern?nftig einsetzen? Und wenn ja, wie und in welchem Ma?e? Drei von vielen Fragen, die wir einem Experten stellen wollten und gestellt haben: Kersten A. Riechers als gesch?ftsf?hrender Gesellschafter der Darmst?dter Onlinekommunikationsagentur qu?ntchen + gl?ck nahm sich die Zeit, wirklich alle unsere Fragen rund um das Thema zu beantworten. Eines jedoch vorweg, weil es zum Verst?ndnis einiger Antworten n?tig ist: Die sozialen Medien sind im Lichte der Unternehmenskommunikation zu betrachten. Geredet wird nicht von sozialen Medien und Kommunikation; soziale Medien sind Teil der Kommunikation und werden daher nicht losgel?st von der Unternehmenskommunikation gesehen.

 

Herr Riechers, haben Sie als Agentur viel mit kleineren Unternehmen zu tun?

Diese Frage l?sst sich auf zweierlei Weise interpretieren. Haben wir viele Anfragen kleiner Unternehmen oder machen wir viele Projekte mit ihnen. Angefragt wurden wir in den Gr?ndungsjahren h?ufiger als heute; das hing auch damit zusammen, wie wir aufgestellt waren. Die Crux ist leider: Bei den kleinen Unternehmen sind die Gestaltungsr?ume und Entscheidungswege viel interessanter, die Budgets sind hingegen ? aus Agentursicht ? oft prek?r. Nat?rlich gibt es vorgefertigte L?sungen von der Stange, aber das ist nicht unser Gesch?ft. Nach unserem Verst?ndnis geh?rt eine individuelle Analyse und Konzeption allem Weiteren vorangestellt ? und das kostet eben.

 

Sie reden von Kosten. Der kleine Handwerker von nebenan m?chte mit Ihnen gemeinsam eine Social-Media-Strategie f?r seinen Betrieb erarbeiten. Wie viel Geld sollte er daf?r in etwa einplanen?

Eine Zahl ist immer schwer ? das ist der Klassikerspruch in Agenturen. Ich beschreibe daher lieber das Vorgehen. Prinzipiell empfehlen wir, mit einem Workshop zu beginnen, an dem all diejenigen teilnehmen, die etwas zu sagen haben und Entscheidungen treffen k?nnen. Das macht es im Endeffekt sogar g?nstiger, weil man nicht jeden einzelnen Punkt sp?ter neu verargumentieren muss. Auf den Tisch kommt wirklich alles, was irgendwie mit Kommunikation zu tun hat. Von der E-Mail-Signatur ?ber die Frage, wie einzelne Produkte verpackt sind und was der Kunde sieht, wenn er diese ?ffnet, hin zu Suchergebnissen zum Unternehmen bei Google und ob auf Anhieb die Telefonnummer auffindbar ist. Damit verbinden wir die Fragen: Wie verdient ihr euer Geld? Wen wollt ihr erreichen? Erreicht ihr mit der Kommunikation, so wie sie jetzt ist, eure Zielgruppe? Und wo ist der erste Hebel, den man ansetzen kann? Der Workshop dauert in der Regel einen halben Tag, doch geht die Agentur nicht ohne Vorbereitung in einen solchen Termin (?ber die Website schauen, ?ber Google suchen und die Ergebnisse auswerten, zugesendetes Material sichten etc.). Alles in allem w?ren wir dann bei dreieinhalb, vielleicht vier Tagess?tzen f?r den Workshop ? das ist das Mindestma?. Aber: Man hat zu diesem Zeitpunkt weder mit der Zielgruppe gesprochen noch ein Konzept aufgesetzt. Es g?be jedoch erste eigene ?Hausaufgaben?, die der Betrieb mitnehmen k?nnte, und er k?nnte sich realistischer Gedanken dar?ber machen, wie es weiterginge ? unabh?ngig von uns als Agentur.

 

Sie sagten, dass eine der zentralen Workshop-Fragen die nach den Zielgruppen sei. Ihrer Erfahrung nach, wie gut kennen KMU ihre Zielgruppen?

Tats?chlich gilt unabh?ngig der Gr??e der Unternehmen ? so unsere Erfahrung ?, dass vielleicht rund 70 Prozent ihre Zielgruppen nicht gut genug kennen. Es folgt die Frage nach den Kommunikationszielen. Die Kombination aus beidem ? dass die Zielgruppen gut bestimmt und die Kommunikationsziele gut definiert sind ? habe ich in meiner Agenturzeit noch nicht erlebt. Doch damit kommen wir zum eigentlichen Kern des Problems und es f?hrt dazu, dass wir, ohne es so zu benennen, Unternehmensberatung anbieten: Denn Zielgruppen und Kommunikationsziele leiten sich eigentlich von der Unternehmensstrategie ab ?

 

Warum ist das Wissen um die eigene Zielgruppe so elementar?

Mit der heutigen Zerfaserung von Kommunikation muss man sich im Klaren sein, wen man ansprechen will. Fr?her ist man mit dem Gie?kannenprinzip weitergekommen. Da wurde in der Tageszeitung im Ort eine Anzeige geschaltet, man hat alle damit getroffen und letztlich auch die Zielgruppe, die es brauchte. Heute muss man sich hingegen die Frage stellen: Liest meine Zielgruppe ?berhaupt noch die Tageszeitung?

 

Eine provokante Frage: K?nnen denn kleine Unternehmen ?berhaupt mit sozialen Medien selbst?ndig arbeiten?

Ja!

 

Wie s?he eine vern?nftige Basis, ein Anfang aus ? unabh?ngig der notwendigen Individualit?t von Social-Media-Ans?tzen?

Alle, wirklich alle Unternehmen k?nnen damit beginnen, in die Welt da drau?en und ins Internet ?hineinzuh?ren?. Was wird eigentlich ?ber mich gesagt? Ganz simple Dinge. Sie k?nnen Alerts bei Google anlegen mit dem Unternehmensnamen, den handelnden Personen, konkrete Produktnamen und Themen meiner Branche. So k?nnen sie schon in gewisser Regelm??igkeit verfolgen, was ?ber ihr Unternehmen gesprochen wird, auch wenn es noch kein Monitoring ist.

 

Und wie s?he der n?chste Schritt aus?

Es gibt unter PR?lern das Bild einer Party. Wenn ich auf eine Party komme und niemand kennt mich, dann stelle ich mich nicht auf die B?hne und schreie: ?Hallo, kauft mich, ich bin toll!?, sondern ich sondiere erst einmal die Lage. Vielleicht habe ich jemanden, der mich einf?hren und vorstellen kann. Vielleicht geselle ich mich aber auch mit einem Glas in der Hand zu einer Gruppe und h?re zu, wor?ber sie reden ? und sehe ich einen Ankn?pfungspunkt f?r mich, kann ich mich einbringen. Es ist ein altes Bild, aber immer noch sehr gut, weil es Unternehmen davor bewahren kann, von jetzt auf gleich zu sagen: ?Jetzt machen wir auch dieses Social Media?, etwa mit der eigenen Facebookseite zu beginnen und den ganzen Tag nur zu verk?nden, wie toll man sei.

 

Eine Trocken?bung k?nnte stattdessen sein ? wenn ich schon gesehen habe, wo finde ich denn statt und wo wird ?ber mich und meine Themen geredet (Stichwort: Lebenswelten von Zielgruppen) ?, zu ?berlegen, wie w?rde ich antworten wollen, und zwar erst einmal rein inhaltlich? Daraufhin kann ich nachdenken, wo ich denn darauf antworten will. M?chte ich in einem Forum antworten? Will ich stattdessen Anzeigen bei Facebook schalten? Zu dem Zeitpunkt geht es darum, Ideen zu sammeln. Mit dieser Ideensammlung kann ich auch auf eine Agentur oder einen Kommunikationsprofi zugehen, wenn ich es denn will.

 

Was w?re in dieser Phase ein typischer Fehler?

Eine Website oder ein Facebookprofil beispielsweise kann man so sch?n greifen, es hat fast etwas Haptisches an sich, trotz dessen es digital ist. Deswegen kommen die meisten Menschen eigentlich von dem Endpunkt: dem Kanal ?

 

Ist es besser, eine Person zu bestimmen, die sich alleine um die sozialen Medien k?mmert, oder w?re es sinnvoller, m?glichst viele Mitarbeiter miteinzubeziehen?

Beides hat Vor- und Nachteile. In der Tendenz w?re es meiner Meinung nach jedoch f?r das Unternehmen besser, wenn es alle mittragen k?nnen. Wenn einer alleine daf?r verantwortlich ist ? das gilt nicht nur f?r Social Media ?, hat man leicht intern einen Graben zwischen ?Wir machen all das, womit das Unternehmen Geld verdient? und ?der macht diesen Social-Media-Kram?. Er w?rde intern nicht ernst genommen und m?sste sich immer wieder neu erk?mpfen, dass es sich bei den sozialen Medien um etwas Wichtiges handelt, was gemacht werden muss. Das ist ein ernstzunehmendes Problem.

 

Teil II des Interviews ?ber Social Media

 

Wie sehen die meisten Menschen eigentlich Social Media Ihrer Wahrnehmung nach?

Oftmals habe ich den Eindruck, die Menschen denken, die sozialen Medien seien ein Cyberspace, etwas Abgefahrenes, wo alles anders ist. Sie unterscheiden zwischen Realit?t und Internet. Doch: Es ist auch die Realit?t! Es sind Personen, mit denen ich rede. Ich kann mich nat?rlich verstecken und mir neue Rollen ausdenken und so weiter, aber in der Kommunikation sind es dieselben Personen und sie treten auch so auf. Daraus folgt, dass viele Mechanismen der Kommunikation auch gleich sind ? unabh?ngig davon, ob ich mit dem Kunden auf der anderen Seite der Theke oder via Facebook spreche.

 

M?ssen Sie diesen nur scheinbaren Unterschied h?ufiger zum Thema in Kundengespr?chen machen?

Ja, doch muss man verstehen, warum viele eine Aversion dagegen hegen. Ein pr?gendes Erlebnis aus einem unserer Workshops war f?r mich das Gespr?ch mit einer Frau im Zusammenhang mit der Nutzung von Facebook. Sie sagte urpl?tzlich, nachdem wir schon im dritten gemeinsamen Termin sa?en, auf Facebook werde die Qualit?t immer schlechter. Wie meinte sie das? Es ist ein riesiges Netzwerk mit Millionen von Nutzern. Wieso sollte die Qualit?t nachlassen? Irgendwann kam heraus, dass sie vor ein paar Wochen die Kontaktanfrage ihrer Nichte angenommen hatte und sich dar?ber beklagte, dass st?ndig Inhalte, die ihre Nichte posted oder liked, bei ihr erscheinen. Darum sei die Qualit?t bei Facebook schlechter. Aha.

 

Jedes Netzwerk ist so gut, wie ich es mir baue. Daf?r ist der Blick zu sch?rfen. Hier sind wir ?brigens bei der Filterblasendiskussion. Als Beispiel: Wenn st?ndig Inhalte angezeigt werden, die sich mit vegetarischer Ern?hrung befassen, weil es mich interessiert und ich mit einigen Vegetariern befreundet bin, entsteht der Eindruck, die ?ganze Welt? best?nde nur aus Vegetariern. Ein Trugschluss.

 

Welche Branchen sind geeigneter f?r soziale Medien? Und welche Branchen haben es vielleicht etwas schwerer?

Ein kluger Kopf sagte einst, ?jedes Unternehmen ist ein Medienunternehmen? (Tom Foremski). Ich glaube, dass jedes Unternehmen aus einer PR-Betrachtung heraus eine Licence to operate zu formulieren h?tte, also f?r die gesellschaftliche Akzeptanz des Unternehmens und seiner Produkte sorgen sollte. Die Licence to operate br?ckelt hier und da, beispielsweise bei Unternehmen der Tabakindustrie. Doch wer auch immer seine Licence to operate zu verargumentieren in der Lage ist, sollte und kann Social Media nutzen. Der Metzger kann von Vegetariern regelm??ig angefeindet werden, er wird nichtsdestotrotz immer seine Steakfreunde als Zielgruppe erreichen k?nnen.

Es bedeutet f?r mich, dass sinnvolle Social-Media-Nutzung weniger branchenabh?ngig ist, sondern darauf gr?ndet, den Kunden nachvollziehbar vermitteln zu k?nnen, was das Unternehmen macht und wie sie von den eigenen Produkten profitieren. Unternehmen, die dies im Direktkontakt mit Kunden verstehen, k?nnen es ebenfalls in und mit den sozialen Medien kommunizieren.

 

Wie sehen geeignete Zielformulierungen f?r Unternehmen aus ? im Umgang mit sozialen Medien?

Passende Ziele zu finden ist eine Wissenschaft f?r sich. Voraussetzung ist erst einmal, die Ziele so zu formulieren, dass sie messbar sind. Doch sollte man mit kleinen Schritten und Erfolgen beginnen. Zielformulierungen a la zum dritten Quartal 2017 wollen wir mit unseren am l?ngsten brennenden Kerzen eine Marktdurchdringung bei relevanten Zielgruppen von ?ber 70 Prozent haben, sind ? gerade f?r kleine und mittlere Unternehmen ? meist so illusorisch, dass man zu dem Zeitpunkt schon wieder aufh?ren k?nnte. Besser w?re es beispielsweise, sich als realistisches Ziel zu setzen, dass zehn Nutzer mein Angebot angenommen haben oder ?hnliches. Allgemein gilt: H?ufig werden keine Kommunikationsziele, sondern Sales-Ziele formuliert. Dessen muss man sich bewusst sein.

Herr Riechers, vielen Dank f?r Ihre Zeit und Ihr Wissen.