Es herrscht Ausnahmezustand in vielen Betrieben. Was sind jetzt die wichtigsten Themen f?r Betriebs- und Personalr?te?

Michael Wagner: In der Krise erweist sich die betriebliche Mitbestimmung einmal mehr als Stabilit?tsanker. Der Wert der Arbeit der vielen Betriebs- und Personalr?te kann derzeit gar nicht hoch genug eingesch?tzt werden. Die besonders dringlichen betrieblichen Fragen sind die nach Besch?ftigungs- und Einkommenssicherung. Dazu werden aktuell, in Erg?nzung zu den tarifvertraglichen Regelungen, eine Vielzahl von Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Dort geht es um handfeste Fragen wie Regelungen zur Kurzarbeit und Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, Sicherung der betrieblichen Ausbildungsquoten, Verwendung der Arbeitszeitkonten und zus?tzliche freie Tage zur Kinderbetreuung oder auch die Kopplung von Kurzarbeit an online basierte Weiterbildung. Nat?rlich stellen sich auch neue Fragen an die Arbeitssicherheit und den betrieblichen Gesundheitsschutz. Da wo oder wo demn?chst wieder gearbeitet wird, muss die Sicherheit der Besch?ftigten an erster Stelle stehen, auch um eine zweite Infektionswelle zu verhindern. Das betrifft die Schutzscheiben vor den Verk?uferinnen und Verk?ufern in den Lebensmittelgesch?ften genauso wie die Sanit?r-, Pausen- und Kantinenr?ume in gro?en Fabriken. Bei diesen Fragen sind die Betriebs- und Personalr?te auch selbst mit Ver?nderungen in ihrer eigenen Arbeitsweise konfrontiert. Nicht nur die anstehende Personalratswahl nach dem Bundespersonalvertretungsrecht muss angepasst werden. Auch Videokonferenzen sind bei vertraulichen Sitzungen aus nachvollziehbaren Gr?nden bisher nicht m?glich und k?nnen deshalb auch nur als Notl?sung f?r die Krisenzeit durchgef?hrt werden. Der Kontakt zu den Besch?ftigten selbst ist f?r die Betriebs- und Personalr?te durch die Krise derzeit stark eingeschr?nkt. Da k?nnen digitale Tools helfen um ?berlastung im Homeoffice oder in der Kurzarbeit fr?hzeitig zu erkennen.

Viele Unternehmen m?ssen improvisieren, um den Betrieb ?berhaupt am Laufen zu halten. Wo sind die ?roten Linien? f?r Betriebs- und Personalr?te, ab denen sie Regelungen gar nicht mehr mittragen k?nnen?

Den Regelungs- und Gestaltungsm?glichkeiten der Betriebs- und Personalr?te sind grunds?tzlich wenig Grenzen gesetzt. Allerdings bleiben die Gesetze, wie vor und nach der Krise, in Kraft. Arbeitszeit, Gesundheitsschutz, Datenschutz, Mindestlohn, Mitbestimmung muss auch w?hrend der Krise eingehalten werden. Gef?hrlich wird es, wenn Arbeitgeber hier versuchen die Krisensituation als Vorwand zu nutzen, um geltendes Recht zu umgehen. Gute Arbeit muss dabei auch in der Krise gelten. In den letzten Wochen konnte auf der politischen Ebene f?r die Unternehmen ein weitreichendes Netz aufgespannt werden, um Insolvenzen und damit Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Mit erheblichen finanziellen Mitteln aus Steuergeldern und Beitr?gen der Sozialversicherungen wurden Ma?nahmen auf den Weg gebracht, deren Finanzierung die Gesellschaft noch lange besch?ftigen k?nnten. Dabei sollte der allgemeine Anstand eine rote Linie sein. Wer als Unternehmen jetzt Hilfsma?nahmen in Anspruch genommen hat, sollte sich ?ber die Konsequenzen bei Vorstandsgeh?ltern, Boni oder Dividendenaussch?ttung im Klaren sein.

Schauen wir nach vorne: Jetzt gibt es einen enormen Schub f?r Homeoffice, f?r digitale Meetings und vieles mehr. Was davon m?chten Sie gern bewahren und was m?glichst schnell wieder abschaffen?

Vieles, was jetzt in Notzeiten eingef?hrt wurde, ist zurecht auf diese Zeit befristet. Jede und jeder, der versucht, im Homeoffice die gleichzeitige Kinderbetreuung zu gew?hrleisten oder mit langsamem Internet an einer Videokonferenz teilzunehmen, ist schnell mit den Herausforderungen der neuen M?glichkeiten konfrontiert. Im Normalfall w?rde der Einsatz von neuen Technologien in der Arbeitswelt mit einer gut vereinbarten und vorbereiteten Pilotphase begleitet, in denen Themen wie Datenschutz und Datensicherheit, Arbeitszeit oder individuelle Belastungen eine Rolle spielen. Ein Beispiel daf?r ist die umfangreiche Diskussion zur Telearbeit. So l?sst sich wohl auch erst nach der R?ckkehr in den ?Regelbetrieb? zuverl?ssig sagen, welche digitalen Tools auch in Zukunft ihre Berechtigung haben werden und welche auf Notzeiten beschr?nkt bleiben sollten. Eine Erkenntnis kann allerdings schon jetzt aus der Krise gezogen werden. Der pers?nliche Kontakt von Mensch zu Mensch ist nicht zu ersetzen. Auch nicht durch Telefon- oder Videokonferenzen.

Vielen Dank, Herr Wagner, f?r dieses Gespr?ch.

Michael Wagner ist Referatsleiter Mindestlohn und Tarifkoordination beim DGB, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des RKW sowie Mitglied des Verwaltungsrates und des Beirates ?Mensch und Arbeit? im RKW Kompetenzzentrum.