Herr Bahlow, warum wird die Einf?hrung agiler Arbeitsweisen immer h?ufiger propagiert?

Im Wesentlichen sind es drei Gr?nde, warum die  Einf?hrung agiler Arbeitsweisen f?r Organisationen interessant wird:

  • Agile Arbeitsweisen sind flexibel und kundenorientiert. Sie entsprechen einem  "Zeitgeist", der die konsequente Ausrichtung auf individuelle, anspruchsvolle, sich h?ufig ver?ndernde Kundenw?nsche fordert.
  • Interdisziplin?r zusammengesetzte Teams und agile Arbeitsweisen helfen dabei, mit der Dynamik globaler Wirtschaftsr?ume und komplexen multinationalen Prozessen umzugehen.
  • Interdisziplin?re, die Kreativit?t f?rdernde Arbeitsformen k?nnen die Potenziale sogenannter disruptiver Innovationen, etwa in Bezug auf die Entwicklung neuer Gesch?ftsmodelle, optimal nutzen.

Handelt es sich dabei um ein v?llig neues Konzept?
Nein, keineswegs. Agile Methoden sind bereits vor ?ber zwanzig Jahren alternativ zum klassischen Projektmanagement im Bereich der Software-Entwicklung entstanden. Einzelne Prinzipien der agilen Teamarbeit sind dar?ber hinaus bei jedem Hausbau zu beobachten, n?mlich im Zusammenspiel der unterschiedlichen Gewerke, die alle auf ein verabredetes gemeinsames Ziel zustreben. Wer genauer hinsieht stellt fest, dass selbst die in Deutschland seit Mitte der 1970er Jahre als teilautonome Gruppenarbeit in der Produktion realisierten Konzepte wesentliche Elemente einer agilen Arbeitsorganisation enthalten. Man k?nnte auch sagen, dass agile Methoden eine radikale Zuspitzung von Grundgedanken der Gruppenarbeit sind.

Was sind die Essentials des agilen Arbeitens?
Die Zeiten, in denen alles wie geplant abl?uft, sind pass?. Beim agilen Arbeiten geht es darum, stets mit ?berraschungen zu rechnen und auf diese wirkungsvoll zu reagieren. Das geht nur mit den w?hrend des Prozesses gesammelten Erfahrungen und beruht auf dem Prinzip der Empirischen  Steuerung: Sichtbar machen ? ?berpr?fen ? Anpassen.

Wie sieht das praktisch aus?

Gro?er Wert wird auf Transparenz gelegt, etwa auf ausgefeilte Methoden der Visualisierung von Arbeitsfortschritt und -ergebnissen. Jedes Teammitglied kann zu jeder Zeit auf die notwendigen Informationen zur?ckgreifen und sich schnell einen ?berblick verschaffen. Agiles Projektmanagement mit Scrum etwa sieht hierf?r vier unterschiedliche  Arten von Dokumenten vor:

  • User Story (Anforderungen an das Produkt aus Nutzersicht)
  • Product Backlog (jederzeit erweiterbare Auflistung der erforderlichen Produkteigenschaften)
  • Sprint Backlog (Liste aller Aufgaben, die zur Erf?llung des Commitments f?r die laufende Etappe der Teamarbeit notwendig sind).

Vier fest definierte Meeting-Formen sorgen f?r die notwendige Interaktion im Team und mit dem Auftraggeber:

  • Planning Meeting
  • Daily Scrum
  • Review
  • Retrospektive

Wie wichtig ist die interdisziplin?re Zusammensetzung eines Teams?
Eine professions-, abteilungs- und bisweilen auch hierarchie?bergreifende Zusammensetzung  gilt inzwischen als wesentliches Merkmal agiler Teams. Sie f?rdert Kreativit?t, fr?hzeitige Fehlererkennung und Fehlervermeidung sowie rasche Handlungsf?higkeit.

Welche Rolle spielt die Selbstorganisation und wie gelingt sie?
Durch eine weitgehende Selbststeuerung des agilen Teams, die auch Aufgabenverteilung, gegenseitige Unterst?tzung und die Absch?tzung des realistisch ?machbaren? Arbeitspensums  einschlie?t, l?sst sich eine h?here Arbeitszufriedenheit und Produktivit?tssteigerung erreichen. In agilen Teams erh?lt die Selbstorganisation durch das ?Framework? Unterst?tzung. Es sorgt nicht nur f?r  Transparenz, die Aufteilung der Arbeit in kurze iterative Schleifen f?rdert gleichzeitig das kontinuierliche Lernen. Durch klare Rollendefinition wird dar?ber hinaus die Trennung von Priorit?tensetzung und Einsch?tzung vorhandener Ressourcen m?glich. Verbindliche Regeln m?ssen ausgehandelt werden, klare Prozesse im Team stiften Sicherheit, auch im Falle von Konflikten.

Was bedeutet das f?r die F?hrung?
Ein besonderes F?hrungsverst?ndnis ist f?r jede funktionierende Selbstorganisation grundlegend. Ein Praktiker hat das einmal so ausgedr?ckt: "Jede F?hrungsintervention wird daran gemessen,  ob sie das Team handlungsf?higer macht oder nicht".

Was einfach klingt, setzt in vielen F?llen ein Umdenken voraus. Die F?hrungskraft als Kontrolleur geh?rt der Vergangenheit an. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, Leitplanken vorzugeben, einen Rahmen so zu setzen, dass er ausreichend Orientierung liefert, etwa dar?ber, was bis wann erledigt werden muss. Gleichzeitig muss dem Team aber gen?gend Freiraum f?r kreatives Potenzial und Selbstorganisation bleiben.

Welche Erfolgsfaktoren sehen Sie dar?ber hinaus?
F?hrungskr?fte und Teams k?nnen nicht im "freien Raum" agieren. Es geht darum, dass die Organisation um agile Teams herum das entsprechendes Umfeld und Klima f?r selbststeuernde Systeme bieten muss. Stabile, gewachsene Verbindungen zu anderen Organisationseinheiten d?rfen keineswegs gekappt werden. Ohne die Einbettung in die betriebliche Organisation bleiben Selbstorganisation und Agilit?t ein "lokales Experiment" und sind zum Scheitern verurteilt.

Eine zentrale Rolle nimmt f?r Sie die Verbindung zum Kunden ein?
Die enge Verbindung zum Kunden ist in der Tat ein Schl?sselfaktor. Sie ist eben mehr als das ?berall gebr?uchliche Schlagwort der Kundenorientierung. Es geht nicht darum, eine Liste von Anforderungen abzuarbeiten, sondern darum, mit dem Kunden im kontinuierlichen Austausch zu bleiben. Im agilen Arbeitssystem werden die Kundenanforderungen zum Beispiel durch die Rolle eines Product Owners repr?sentiert. Er agiert als Vertreter des Kunden, der ja nicht immer vor Ort sein kann.